Rathaus Stuttgart

Auf Fotos vom Stuttgarter Marktplatz mit dem alten Rathaus wirkt das Ensemble sehr harmonisch und historisch. Doch anders als viele umliegende Gebäude war das Rathaus bereits ein Bauwerk des 20. Jahrhunderts. Es wurde 1901–1905 von den Architekten Heinrich Jassoy und Johannes Vollmer errichtet. Das Gebäude wurde im Stil der flämischen Spätgotik gehalten. Dadurch erreichte man ein fast völlige Harmonie zu den umliegenden Fachwerkhäusern der historischen Innenstadt, die teilweise hunderte Jahre älter waren.

Auch die Harmonie mit der gotischen Stiftskirche war sehr ausgeprägt. Dies ist auch deshalb bemerkenswert, weil das Rathaus im Vergleich zu seiner Umgebung ein gewaltiger Klotz war, der den Marktplatz fortan komplett dominierte. Einzig die architektonische Gestaltung verhinderte einen vollständigen Bruch mit der umliegenden Bebauung.

Das Rathaus war das letzte Großprojekt in der Stuttgarter Innenstadt, das in einem solch historisierenden Stil errichtet wurde. Nur 10 Jahre nach seiner Fertigstellung wurde mit den Arbeiten am heutigen Hauptbahnhof begonnen, der architektonisch die neue Zeit markierte. Tagblattturm, Mittnachtbau, Kaufhaus Schocken, die Oberpostdirektion, Kaufhaus Breuninger und andere Neubauten der 20er Jahre ließen die Moderne endgültig in der Innenstadt einziehen und schufen einen signifikanten Kontrast zum Rathaus, das vermutlich auch deshalb vielen für das alte Stuttgart steht.

Bei den Luftangriffen im Juli 1944 wurde das Rathaus zunächst von sich zu einem Flächenbrand verbindenden Feuern weitgehend eingekreist und musste nach vergeblichen Rettungsversuchen noch in der Nacht das 26. Juli aufgegeben werden. Es brannte vollständig aus. Da zwar das Dach den Flammen zum Opfer gefallen war, die Fassaden aber nicht durch Sprengbomben zerstört waren, behielt die Ruine auch nach Kriegsende noch auf gespenstische Weise ihre unumschränkte Dominanz über den Markplatz.

Als 1953–1956 unter der Leitung von Hans Paul Schmohl und Paul Stohrer der Wiederaufbau erfolgte wurden die Größenrelationen vor Ort weitgehend beibehalten. Selbst im falle von Neubauten waren die umliegenden Gebäude im Wesentlichen nicht höher als die ehemalige Bebauung. Vom Rathaus wurden die Seitenflügel und die Proportionen erhalten genauso erhalten wie der hoch aufragende Turm. Trotz neuer Fassade und neuer Gebäudeteile hat man auch hier versucht alte Substanz weitgehend zu integrieren.

Der Rathausbau wird heute von vielen Stuttgartern ästhetisch in Frage gestellt. Dabei wird oft übersehen, dass er das Ergebnis eines Kompromisses ist, der in den 50er Jahren nicht unbedingt üblich war. Hier wurden weite Bestandteile des früheren Gebäudes und seiner Dimension erhalten, wo andernorts die Reste historischer Bebauung flächendeckend abgetragen wurden, um Neuem Platz zu schaffen.