KZ Vaihingen/Enz

Die Stadt Vaihingen an der Enz zählte 1939 ca. 3.500 Einwohner. Sie war weitgehend ländlich geprägt und wenig industrialisiert. Wie die Nachbargemeinden und Städte an der Enz war sie in das Konzept der Neckar-Enz-Stellung einbezogen worden, das aber neben den geheimen Bautätigkeiten und der Ausweisung von militärischen Sperrbereichen zunächst keine nachhaltigere Auswirkung auf die Stadt hatte.

Bereits 1842 war auf Schloss Kaltenstein die „Polizeiliche Beschäftigungsanstalt für Männer“ eingerichtet worden, die 1872 in „Arbeitshaus für Männer“ umbenannt wurde. Sie diente zur Unterbringung von nach damaliger Rechtsprechung zu Zwangsarbeit verurteilten Männern (z.B. wegen Bettelei, Landstreicherei, Zuhälterei, Glückspiel, …).

Die Arbeit wurde entweder in Werkstätten innerhalb des Schlosses erbracht, aber auch als günstige „Leiharbeiter“ in der Landwirtschaft und im örtlichen Handwerk. 1928-30 wurde ein zusätzlicher Zellentrakt errichtet.

Obwohl Schloss Kaltenstein auch ab 1933 zu einer Außenstelle des KZ Heuberg wurde, beschränkte sich die Bedeutung Vaihingens für das NS-Regime jahrelang auf das „Arbeitshaus“. Dies änderte sich erheblich ab 1942. Im sogenannten Lager „Brücke“, das im Wohnhaus der Industriellenfamilie Hummel untergebracht war, wurden Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa einquartiert, die in der Trockengemüsefertigung der Firma Hummel eingesetzt waren.

Der Steinbruch als Testgelände

Etwa zur gleichen Zeit begannen im Steinbruch der Firma Baresel nordwestlich der Stadt die Montagearbeiten für eine Testanlage unter der Leitung der 1941 in Ruit eingerichteten Außenstelle der Forschungsanstalt Graf Zeppelin des Reichsluftfahrtministeriums. Die Aktivitäten dieser Einrichtung sind bis heute weitgehend unbekannt und in der Literatur wenig behandelt.

Im Baresel-Steinbruch bei Vaihingen wurde zunächst eine sogenannte Walter Schlitzrohrschleuder installiert, später ein Original Heinkel-Katapult mit 48 m Länge und 6 m Höhe. Mittels dieser Katapulte wurden Eisenklötze gegen die Steinbruchwand geschleudert, deren Gewicht der V 1 (auch: Fi 103) entsprach. Diese Testreihe sorgte lange Zeit für Gerüchte und Spekulationen, die erst nach der Jahrtausendwende aufgeklärt werden konnten. So war es nie geplant von dem kesselförmigen Steinbruch aus echte V1 zu verschießen, weder zu Testzwecken noch im Kampfeinsatz. Es gibt eine Quelle, die von Abschüssen echter V1 berichtet. Dies ließ sich aber nicht verifizieren.

Auch eine Produktion der Marschflugkörper war in Vaihingen nicht vorgesehen, obwohl mit der Firma Heim in Reutlingen ein bedeutender Produzent für Tragflächen der Rakete saß.

Durch die Testaktivitäten war der Luftwaffe der Standort Vaihingen / Enz bekannt. So wundert auch kaum, dass der Steinbruch alsbald das Interesse des am 1. März 1944 in Berlin eingerichteten „Jägerstabs“ weckte, der sich auch um die Schaffung von bombensicheren Produktionsstätten für Jagdflugzeuge, insbesondere die Me262, kümmern sollte.

Planungen des Jägerstabs

Ein zentraler Ansatz des Jägerstabs war die Planung und Schaffung von 6 einheitlichen Großbunkern mit je 80.000 m²die nördlich von Prag, im Rheinland (Glesch an der Erft), Mühldorf am Inn und im Raum Landsberg am Lech (drei Bunker) entstehen sollten. Obwohl der Steinbruch bei Vaihingen / Enz die Kriterien für diese Großbunker nicht erfüllte – die nutzbare Fläche lag dort bei ca. 100 x 250 m, die Großbunker sollten alle als Gewölbe mit 400 m Länge nach einem neu entwickelten Bauverfahren entstehen, das in Vaihingen nicht eingesetzt werden konnte – wurde er in die Planungen einbezogen. Auch diese Entscheidung sorgte in den Jahrzehnten nach dem Krieg immer wieder für Spekulationen.

Die Überlegungen zum Standort Vaihingen wichen erheblich vom Konzept der normierten Großbunker stark ab. So ist inzwischen klar, dass der dort geplante Bunker keine Endmontage beherbergen sollte und wohl auch nicht – wie für die sechs Großbunker geplant – sämtliche Produktionsstätten und – Firmen unter einem Dach.

Anfang 1944 wurden die V1-Versuche in Vaihingen beendet. Im Zuge der Vermessungsarbeiten des nun unter dem Decknamen „Stoffel“ in Gang gesetzten Bunkerprojekts wurden die Katapulte im Februar 1944 gesprengt. Anfang März 1944 wurde in Leonberg mit den Arbeiten an einem KZ und der Umwandlung des dortigen Autobahntunnels zur unterirdischen Fabrik begonnen. Zeitgleich wurde der Regierungsbaudirektor August Bohnert um eine Stellungnahme zum Projekt „Stoffel“ gebeten. Somit waren die Aktivitäten in Leonberg und Vaihingen beispielsweise dem Projekt in Mühldorf etwa zwei Monate voraus.

Es ist offensichtlich, dass man im Jägerstab, aber auch im Rüstungsministerium Albert Speers sich nicht ausschließlich auf die sechs Großbunker verlassen wollte. Dafür spricht auch die ebenfalls mit Hochdruck auf den Weg gebrachte Anlage im Walpersberg in Thüringen.

Am 15. März 1944 schrieb Bohnert an Willy Messerschmitt. Er plädierte für die Nutzung bestehender Stollenanlagen und wandte sich gegen „die Schaffung von Mammutprojekten“, die vor Luftabgriffen nicht geschützt werden könnten, sondern diese sogar explizit anzögen. Auch bemängelte er, dass die eingereichte Projektskizze der Architekten Lambrecht und Osthus für den sechsstöckigen Einbau eines Bunkers in den Baresel-Steinbruch das Auflegen der 3,5 m dicken Stahlbetondecke „“auf einem verhältnismäßig dichten Stützensystem“ vorsah.

Die Bedenken wurden auch dem Jägerstab vorgetragen, dort jedoch letztlich ignoriert. Die Stützenkonzeption zeigt aber, dass eine Endmontage der Flugzeuge in diesem Bunker von Anfang an nicht geplant war. Stattdessen war man im Großraum Stuttgart auf eine verteiltere Produktion aus, die den Engelbergtunnel und den Großbunker in Vaihingen mit anderen Standorten verknüpfen sollte. Obwohl das Vaihinger Bunkerprojekt bereits nach wenigen Monaten in einem frühen Stadium abgebrochen wurde, führte genau dieses Konzept dennoch zur Produktion einer großen Anzahl der Me 262, die ab März 1944 größtenteils in sogenannten Waldwerken montiert wurden und nicht in unterirdischen Hallen.

Bau am Großbunker

In Vaihingen begannen die Vorarbeiten im April 1944 mit der Ankunft von 545 Bauarbeitern. Das Ziel der Baumaßnahmen war utopisch. Zum 31.01.1945 sollte der Bunker fertig sein. Die Pressen sollten bereits am 15.11.1944 aufgestellt werden. Am 6.Mai 1944 wurde das Gebiet im Gewann Fuchsrain für Zivilisten weiträumig abgesperrt. Bauern, die dort noch Flächen bewirtschafteten, aber auch die Lieferanten des Projekts erhielten Passierscheine.

Am Egelsee entstand ein Lager aus 11 Baracken für die Angehörigen der Organisation Todt. Auch in Privathaushalte wurden Beschäftigte des Projekts „Stoffel“ einquartiert. Im unteren Glattbachtal wurde ein weiteres Lager errichtet, das von der Firma Baresel den Decknamen „Wiesengrund“ erhielt. Hier wurde der größte Teil der insgesamt 1510 ausländischen Arbeitskräfte der Baustelle untergebracht. Die weitaus größten Kontingente dieser Zwangsarbeiter waren Russen (836) und Polen (388). Viele von ihnen waren zuvor schon auf Baustellen am Atlantikwall eingesetzt worden.

Da der ehrgeizige Zeitplan von einem Einsatz vom 2.400 Arbeitskräften ausging, die die Organisation Todt nicht bereitstellen konnte, sollten KZ-Häftlinge zum Einsatz kommen. Die meisten der zunächst auf der Baustelle tätigen Arbeitskräfte wurden folglich im Laufe des Sommers abgezogen und auf andere Baustellen verlegt. Am 11. August trafen 2187 jüdische Insassen des KZ Radom in Vaihingen ein. Für sie entstand im Glattbachtal, 750 Meter vom Lager „Wiesengrund“ entfernt, ein Lager aus acht Baracken auf ca. 80 x 180 m Fläche, umgeben von zweifachem Stacheldraht und von vier Wachtürmen gesichert.

Zu diesem Zeitpunkt hielten sich in Vaihingen mehr Fremde als Einheimische auf. Nicht alle wurden auf der Bunker-Baustelle eingesetzt, die inzwischen von einem Geflecht aus Gleisen erschlossen war und wo die Fundamente weitgehend betoniert waren. Die KZ-Häftlinge wurden auch bei Bau der städtischen Luftschutzstollen in der Grabenstraße, der Mühlstraße und beim Krankenhaus eingesetzt.

Hinzu kam das Kommando Unterriexingen, das ab 6. November als eigenes kleines Lager von Vaihingen verwaltet wurde. Dort mussten KZ-Häftlinge unterhalb des Flugplatzes Großsachsenheim die Stollenanlage „Galenit“ ausbauen. Auch die Beseitigung von Bombenschäden auf dem Flugplatz und der Ausbau der Landebahn für den geplanten Einsatz der Me 262 wurde von KZ-Häftlingen verrichtet.

Im Baresel-Steinbruch wurde in 12-Stunden-Schichten gearbeitet an sieben Tagen die Woche, Tag und Nacht. Verpflegung, Bekleidung und auch die hygienischen Einrichtungen waren vollkommen unzureichend. Die Tätigkeiten waren schwere körperliche Arbeit wie das Schaufeln von Kies, das Abladen und Schleppen von Zementsäcken, das Schleppen von Ziegeln, das Brechen von Steinen. Körperliche Misshandlung durch Wachen und Kapos waren alltäglich. Dennoch war die Sterblichkeit im Lager zunächst ausgesprochen niedrig. Bis November 1944 soll es nur 6 – 7 Todesfälle gegeben haben.

Ab Spätsommer setzten auch die von Regierungsbaudirektor Bohnert vorhergesagten Luftangriffe ein. Anders als von ihm befürchtet kamen sie nicht in Form von Flächenbombardements, sondern wurden mit mit Jagdbombern ausgeführt, die zwar die Stadt Vaihingen weitgehend verschonten, jedoch gezielt die Baustelle trafen und mit Bordwaffen auf alles feuerten, was sich bewegte.

Allein in der ersten Oktoberwoche entstand durch nächtliche Luftalarme ein Ausfall von 30.000 Arbeitsstunden. Ende Oktober entscheid die Bauleitung auch unter dem Eindruck des alliierten Vormarschs das Ende der Bauarbeiten, da eine Fertigstellung zum geplanten Zeitpunkt nicht mehr absehbar war. Am östlichen Rand des Steinbruchkessels war zwar die Säulenkonstruktion fertig und die Decke hätte begonnen werden können. Doch im größten Teil der Baustelle waren die Arbeiten über die Fundamente nicht hinausgekommen.

Sterbelager

Bereits am 15. Oktober waren 600 Häftlinge nach Hessental bei Schwäbisch Hall verbracht worden, wo sie ebenfalls im Bereich des Flugplatzes bzw. der Me 262-Endmontage eingesetzt wurden. Am 08. November wurden 500 Häftlinge von Vaihingen in die „Wüste“-Lager in Dautmergen und Bisingen transportiert, am 16. November wurden noch einmal 200 Häftlinge nach Hessental verlegt und 500 nach Unterriexingen.

Ab 01.12.1944 wurde Vaihingen zum „zentralen Kranken- und Erholungslager“ für alle Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof erklärt. Dies bedeutete, dass sämtliche Außenlager des KZ in Württemberg-Hohenzollern nun nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge nach Vaihingen abgaben, das de facto zum Sterbelager wurde; denn eine Ausstattung um kranke Häftlinge wirklich zu behandeln unterblieb.

Bereits am 09. November 1944 trafen 500 kranke Häftlinge aus den „Wüste“-Lagern in Dautmergen, Schörzingen, Bisingen und Schömberg in Vaihingen ein. Bis Mitte März nahm das KZ Vaihingen mehr als 2434 Kranke aus 17 anderen Außenlagern auf, darunter 100 aus Echterdingen, 127 aus Leonberg, 53 aus Hessental, 255 aus Neckarelz, 111 aus Hailfingen-Tailfingen und 750 aus den „Wüste“-Lagern.

Die Zustände im Lager nahmen schnell katastrophale Zustände an. Zur Behandlung der Kranken stand weder medizinisches Personal zur Verfügung noch Geräte, Verbandsmaterial oder Medikamente. Was vorhanden war hatten die SS-Wachmannschaften eingelagert und den Häftlingen vorenthalten. Die meisten Ärzte waren mit den abgehenden Transporten in andere Lager verbracht worden. Nahrungsmittel wurden von den Wachmannschaften und den Kapos systematisch unterschlagen.

Viele Häftlinge wurden in den Baracken sich selbst überlassen bis sie ihren Krankheiten, der Mangelernährung und den unmenschlichen Bedingungen erlagen.

So starben im KZ Vaihingen bis zur Befreiung durch französische Truppen am 07. April 1945 mindestens 1488 Häftlinge, die nach dem Krieg in den Massengräbern des KZ gefunden wurden. Nach französischen Listen kamen in Vaihingen sogar 1579 Häftlinge um. Die dort erfassten weiteren 91 Toten wurden aber offenbar andernorts verscharrt.

Nach dem Krieg

Die Säulen für die Bunkerdecke wurden nach dem Krieg gesprengt. Lange blieb das Areal sich selbst überlassen. Dann wurde der Steinbruch aufgefüllt und das ehemalige „Stoffel“-Areal für ein Neubaugebiet erschlossen. Auf den ersten Blick erinnert nur noch wenig an die Baustelle für den Großbunker.

Doch auf den Rändern des einstigen Steinbruchs sind die Spuren noch immer gegenwärtig. Ein ehemaliger Strommasten, Feldbahngleise, Stützmauern der Kiesschütten und nicht zuletzt ein noch vorhandener Teil des Zugangsstollens in den Steinbruch zeugen von dem ehrgeizigen Bauprojekt, das zur Errichtung des KZ Vaihingen führte.

Vom ehemaligen SS-Lager ist noch die Küchenbaracke erhalten und auf dem Fundament der einstigen Bade- und Entlausungsbaracke steht seit 2002 die Gedenkstätte des einstigen KZ. Im gegenüberliegenden Fels ist auch der 35 m lange Stollen für die SS-Wachen noch erhalten, der ebenfalls von den Häftlingen des KZ gebaut wurde. Der Stollen wurde nicht fertiggestellt. Ein zweiter Zugang wurde nicht mehr geschaffen, ein Innenausbau unterblieb. Ein zweiter Stollen für die SS-Mannschaften in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnbaracken wurde nach dem Krieg zugeschüttet.