Luftschutzmaßnahmen in Frankreich bis 1940

Die französischen Vorbereitungen zum Schutz der Zivilbevölkerung und der Produktionsstätten gegen Luftangriffe vor dem 2. Weltkrieg sind bis heute nur lückenhaft aufbereitet und dokumentiert. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe.

1. Die deutschen Besatzer nutzten französische Luftschutzeinrichtungen für ihre Zwecke

Dies macht eine klare Zuordnung der Maßnahmen zu originär französischen Luftschutzprogrammen schwierig. Es hat viele Einrichtungen auch als Symbol der Besatzung diskreditiert und Bedauern oder Widerstand gegen ihre Beseitigung minimiert.

Der schnelle Zusammenbruch der französischen Armee 1940 verhinderte auch eine Verankerung der Bunker als Orte des Widerstands oder des Ausharrens im Gedächtnis der Bevölkerung, wie dies in England der Fall ist. Wer nach dem Sommer 1940 in französischen Städten in Bunker musste, floh vor alliierten Luftangriffen. Aber er tat dies in dem Bewußtsein, dass die deutschen Besatzer daran Schuld sind.

2. Die Maßnahmen waren nicht flächendeckend

Frankreich war auch in den 1930er Jahren zwar eine Industrienation, aber in weiten Teilen des Landes auch nach wie vor ein Agrarstaat. Teile der Planungen für den Kriegsfall waren seit dem 1. Weltkrieg beibehalten worden und galten bis in den Kalten Krieg hinein.

Ein umfassender Schutz der Bevölkerung und Industrie in Elsass, Lothringen, den Vogesen, den Ardennen und im Pas de Calais war nach 1918 prinzipiell als unmöglich erachtet worden. Diese Gebiete waren im Ernstfall primär zu evakuieren. Selbst für Paris und andere Städte schlugen manche Autoren die völlige Evakuierung vor. Es gab in Frankreich eine soziale Strömung, die das Konzept Stadt an sich ablehnte und ländliche Strukturen als einzige Siedlungsform propagierten. In diesen Kreisen wurde die Aufgabe der Städte als konsequenter Schutz der Bevölkerung vor Luftangriffen dargestellt.

Die monumentale Befestigung der Grenze zu Deutschland durch die Maginot-Linie zeigte die Erwartungshaltung der französischen Militärs: Man würde einen Angriff auf eigenem Terrain abwehren müssen, aber dies wollte man auch grenznah durchführen.

Eine starke einheitliche Organisation wie den Reichsluftschutzbund in Deutschland gab es in Frankreich nicht. Stattdessen gab es unzählige regionale Initiativen. Erst im April 1935 wurde ein Gesetz erlassen, das die Organisation des Luftschutzes in den Städten vorschrieb. Es führte zur Einsetzung städtischer Luftschutzkommissionen und zu regelmäßigen Luftschutzübungen. Auch wurde die Errichtung von Luftschutzräumen bei Neubauten vorgeschrieben.

Debatte über den Luftschutz

Die Luftschutzdebatte zwischen den beiden Weltkriegen wurde in Frankreich von einer Diskussion um den Schutz vor Gasangriffen dominiert. Das Trauma des Gaskriegs 1914-1918 befeuerte sowohl die Debatte auf Seiten der Aufrüstungsbefürworter als auch auf Seiten der Pazifisten. Von beiden Seiten wurde die Angst vor massivem Einsatz von Gas gegen die Zivilbevölkerung vor allem mittels Bombenflugzeugen geschürt und genutzt. Während die einen eine neue Konfrontation für unvermeidbar hielten und daher für einen starken Luftschutz und eine starke Armee plädierten sahen die anderen die Lösung nur in einer generellen Abrüstung auf allen Seiten.

Tatsächlich hatte die französische Luftwaffe im Großmanöver 1934 einen Weg gezeigt, wie dieses Risiko vermindert werden konnte. In dem Manöver wurden die Flugplätze der gegnerischen Partei systematisch attackiert. Die Lehren daraus zogen freilich die Deutschen, die 1940 die französische Luftwaffe in relativ kurzer Zeit ausschalteten, wenn auch mit erheblichen eigenen Verlusten.

Auf die öffentliche Debatte um den Luftschutz hatte dies keine Auswirkung. Die Tatsache, dass Frankreich keine Kapazität für einen luftgestützten Gaskrieg aufbaute, lag begründet in der Skepsis führender Militärs wie General de Gaulle und auch der Marineführung, die die Wirksamkeit dieser Kriegführung bezweifelten. Dennoch nahm sie in der Konzeption von Luftschutzmaßnahmen einen sehr breiten Raum ein. Deutsche Autoren wie Hans Schoßberger attestierten dem Nachbarland eine Vernachlässigung der Gefahr durch Spreng- und Brandbomben zugunsten des Strebens nach Gas-Sicherheit. Die starke Fixierung auf die Angst vor Gas-Angriffen und die dezentrale Organisation des Luftschutzes führten dazu, dass Frankreich 1939 eher schlecht auf den Schutz der Bevölkerung vor Luftangriffen vorbereitet war.

Paris

Paris war bereits im 1. Weltkrieg von deutschen Flugzeugen bombardiert worden. Hier waren umfangreiche Vorbereitungen zum Schutz vor Luftangriffen getroffen worden. Systematisch wurden die unterirdischen Anlagen der Metro, die Katakomben und andere unterirdische Räumlichkeiten für den Ernstfall hergerichtet. In großem Stil wurden Luftschutzräume, aber auch Behelfslazarette geschaffen. Die Stadt verfügte Ende des 19. Jahrhunderts über eine Vielzahl von Steinbrüchen mit weitverzweigten unterirdischen Aushöhlungen, die bereits beim Bau der Metro immer wieder Probleme bereiteten. Der weitverzweigt ausgehöhlte Untergrund musste zur Stabilisierung immer wieder verfüllt werden, wie z.B. an der Place d’Italie. Unzählige Gänge wurden aber auch in die neue Infrastruktur integriert, als Wartungs- und Rettungstunnel, für Technik, oder als Verbindungen für die Fahrgäste ausgebaut. Allerdings wurde – wie auch in Deutschland nach 1945 – in vielen Fällen von der kompletten Verfüllung der Hohlräume abgesehen, da der Aufwand schlicht zu hoch war. So blieben von Neubauten nicht betroffene Kavernen und Stollen einfach bestehen.

Ab ca. 1936 begann man diese teilweise in den Bau von Luftschutzanlagen einzubeziehen. So wurde ab 1938 mit dem Ausbau eines Steinbruchs unter der Rue des Feuillantines begonnen. Hier sollte zunächst ein Bunker für die Schüler der darüber liegenden Schule entstehen. Ab 1941 bauten die Deutschen die Anlage zum unterirdischen Hauptquartier für Ministerpräsident Pierre Laval aus. Sie ging jedoch nie in Betrieb.

Ebenfalls 1938 wurde ein Luftschutzbunker unter der Place Denfert-Rocherau errichtet. Die Anlage war in das weitverzweigte Stollensystem der ehemaligen Steinbrüche eingebunden. Auch gab es Verbindungswege zur Kanalisation und zur Metro. Damit war der Zugang zum Bunker faktisch nicht kontrollierbar. Die Telefonanlage war mit 250 Fernsprechern in Paris verbunden und autark. Obwohl die Anlage komplett einsatzfähig war, nutzten die Deutschen sie während der Besatzung nicht. Sie setzten nur einen Wachposten ein, der darauf achten sollte, dass die Anlage nicht von unerwünschter Seite benutzt würde. Er erstattete täglich Meldung („keine besonderen Vorkommnisse“). Dies tat er auch noch, nachdem der Anführer der Pariser Résistance, Oberst Rol-Tanguy, die Anlage am 20. August 1944 in Betrieb nahm. Er gehörte selbst zur Résistance. Die Fülle nutzbarer unterirdischer Anlagen in Paris schuf die wohl einzigartige Situation, dass mehr Räumlichkeiten zur Verfügung standen als die Besatzer nutzen und kontrollieren konnten. Eine wirklich konsequente Kontrolle fand letztlich auch nicht statt. So konnte der Widerstand unbemerkt zahlreiche unterirdische Verstecke nutzen, die nie bemerkt wurden.

In unterirdischen Bunkern aus Fertigteilen sollen 1939 im Stadtgebiet 80.000 Schutzplätze bereitgestellt worden sein. Exponierte Bauwerke wurden mit Sandsäcken geschützt. Leider sind von anderen französischen Städten bislang kaum Informationen über dortige Luftschutzmaßnahmen bekannt.

Ab Mitte der 1930er Jahre vertrieb der Schweizer Ingenieur Schindler seinen genormten unterirdischen Luftschutzturm. Die Konstruktion verfügte über vier Stockwerke mit je 2 m Geschoßhöhe. Die oberste Etage enthielt die Zugänge mit den Gasschleusen, eine kleine Küche und das Krankenzimmer. Die drei anderen Etagen dienten als reine Schutzräume. Jede verfügte über 2 Aborte. Das Bauwerk hatte eine Außenhöhe von 11,57 m und einen Außendurchmesser von 7,3 m. Zum Vergleich: Der Winkelturm in Feuerbach ist 21 m hoch und hat auf Bodenniveau einen Außendurchmesser von 12,8 m.

Wie ursprünglich Leo Winkel erschloss Schindler die einzelnen Etagen durch eine Wendeltreppe in der Bauwerksmitte, die die Versorgungsleitungen umfing. Angeblich konnten 200 Personen in der Anlage Schutz finden. Damit hätten ca. 0,6 qm / Person zur Verfügung gestanden. Vergleichbare Werte lagen auch viele deutschen Schutzbauten zugrunde. Frankreich war von der Konstruktion sehr angetan und realisierte mehrere Schutzräume Bauart Schindler. Mindestens einer davon wurde bei Paris errichtet. Die „Bauwelt“ berichtete über eine Luftschutzübung in der Anlage und die positive Resonanz der Pariser Bevölkerung. Genaue Standorte und möglicherweise noch erhaltene Exemplare konnten bislang nicht ermittelt werden.

Als die Front 1940 zusammenbrach und die deutsche Wehrmacht unter Umgehung der Maginot-Linie auf Paris vorrückte, entschlossen sich die meisten Bewohner die Metropole zu verlassen. So wurde der zivile Luftschutz der Hauptstadt nicht in größerem Umfang auf die Probe gestellt. Die Einwohner verließen sich eher auf die Evakuierungsstrategie. Beim deutschen Einmarsch hielten sich nur etwa ein Drittel der Bewohner in Paris auf.

Nancy

1931 wurde Nancy zur Pilotstadt für den zivilen Luftschutz bestimmt. Man errechnete einen Bedarf von 2.000 Luftschutzbunkern mit jeweils 60 Schutzplätzen für die Stadt. In Pilotanlagen führte man Luftschutzübungen durch. Die Ergebnisse und die öffentliche Reaktion waren verheerend. Im Falle eines Stromausfalls wäre die Lüftung kaum aufrecht zu erhalten gewesen. Die hohen Kosten, die Ungewissheit wie lange man im Falle eines Gasangriffs im Bunker bleiben müsse und wie man sichere Informationen erhalten könne, wann man wieder hinaus könnte führten zu dem vernichtenden Resumée dass ein Schutz einfach unmöglich sei. Leider ist nicht bekannt wie viele der Pilotbauten in Nancy realisiert wurden und ob noch Reste davon erhalten sind. Möglicherweise waren die Pilotbauten in Nancy „Abris Souillots“. Die Konstruktion war vergleichsweise primitiv und sah offenbar auch keine manuell bedienbare Filteranlage vor. Der Innenraum vermittelte durch den dreieckigen Querschnitt ein Gefühl von Enge.

Provinz

Am 21. Juli 1932 wurde in Frankreich der Abri Marcille dem Generalinspekteur der Luftverteidigung, Marschall Pétain vorgestellt. In seinem Buch „Bautechnischer Luftschutz“ beschreibt Dipl. Ing. Hans Schoßberger die Schutzzelle 1934: „Der Schutzraum von Marcille ist ein französischer Vorschlag […]. Ein Zylinder, der mit einem Spitzdach versehen ist, wird aus Betonguß hergestellt. Der Schutzraum ist insgesamt 2,40 m hoch und besitzt einen Durchmesser von 1,80 m und 17 cm starke Wandungen. Eine ovale Tür schließt ihn dicht gegen die Außenluft ab. Verschiedene Öffnungen für Licht, Telefon, Durchblick und Luftdruckmesser sind ausgespart. Die metallenen Gussformen können von der Gesellschaft „l’oeuvre de l’Abri“ (eine Art Luftschutzbund) entliehen werden. In Frankreich wurde bereits eine größere Anzahl derartiger Schutzräume gebaut. Marschall Pétain, dem der Schutzraum vorgeführt wurde, soll sich lobend darüber geäußert haben. Angeblich können auch ungelernte Arbeiter den Schutzraum innerhalb von 4 Stunden fertig gießen, doch erscheint diese Angabe sehr zweifelhaft“.

Schoßberger, der selbst Luftschutzräume konstruierte, war hier offenbar einem Missverständnis aufgesessen. Französische Quellen sprechen nicht von 4 sondern von 40 Stunden, was durchaus realistisch erscheint.

In einem Beitrag für die „Bauwelt“ schrieb Sch0ßberger 1938 von einer „großen Verbreitung des Einzelschutzraums im Ausland“ und nannte neben Frankreich auch Belgien und Italien.

Der Abri Marcille wurde vor allem für kleine Ortschaften und Gehöfte propagiert, wo keine ausreichenden Luftschutzkeller vorhanden waren. Wir haben bislang leider noch keinen erhaltenen Abris Marcille nachweisen können.

Vor allem in den ländlichen Regionen scheint es immer wieder auch individuelle Lösungen gegeben zu haben. Eine spezielle Literatur zu solchen Bauten fehlt in Frankreich bis heute.

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