Luftschutzrettungsstellen

Der Begriff „Luftschutzrettungsstelle“ ist längst aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Über ihre ursprüngliche Konzeption und Aufgaben ist wenig publiziert.

Luftschutzrettungsstellen waren Einrichtungen des zivilen Luftschutzes. „Die bauliche Durchbildung der Rettungsstellen soll den allgemeinen technischen Anforderungen entsprechen, die an Schutzräume gestellt werden (s. Abschnitt VI der Vorläufigen Ortsanweisung für den Luftschutz der Zivilbevölkerung)“ hießt es im Abschnitt VIII der „Vorläufigen Ortsanweisung für den Luftschutz der Zivilbevölkerung“ von 1936. Rein baulich handelte es sich also um Luftschutzräume. Dies ist auch der Grund, warum die noch erhaltenen Luftschutzrettungsstellen in Bewusstsein der Bevölkerung häufig als Bunker oder als Sanitätsbunker bekannt sind.

Räumlichkeiten

Gemäß dem Abschnitt VIII der „Vorläufigen Ortsanweisung für den Luftschutz der Zivilbevölkerung“ musste eine Rettungsstelle „Raum für mindestens 30 liegende und 20 sitzende Verletzte und Kranke“ bieten, sowie folgende Räume umfassen:
„Gasschleuse am Ein- und Ausgang,
Warteräume vor Behandlung und vor Abtransport,
Liegeräume für Verletzte und innerlich Kampfstoffgeschädigte,
ärztlicher Behandlungsraum,
Aus- und Ankleideräume für äußerlich kampfstoffgeschädigte,
Duschräume,
Aborte.“

Der Abschnitt VIII enthielt zwei schematische Grundrisse, die die Gliederung der Rettungsstelle für zwei grundsätzliche Varianten zeigt. Bei einer Variante waren die Räume um einen Mittelgang herum gegliedert, bei der zweiten Variante waren die Räume eher schlauchartig hintereinander angeordnet. Die tatsächliche Anordnung der Räume wurde den örtlichen Gegebenheiten angepasst, denn häufig wurde die Rettungsstellen in bestehende Kellergeschosse eingebaut.

In Stuttgart entsprach z.B. die Luftschutzrettungsstelle unter der Martinskirche im Prinzip der zweiten Variante, wobei der Grundriss des Gebäudes eine Anordnung der Räume über Eck erforderlich machte. Die Luftschutzrettungsstelle im Tiefbunker unter dem Diakonissenplatz wurde entsprechend der ersten Variante geplant und gebaut. 

Beiden Grundrisstypen ist eine Teilung in zwei separate Abteilungen gemeinsam, die vor allem der in den 1930er Jahren als sehr konkret unterstellten Gefahr durch Giftgasangriffe geschuldet war.

LSRS-001

Die Zugänge zu öffentlichen Luftschutzräumen und zu Luftschutzrettungsstellen waren ausgeschildert.

Aufgaben der Luftschutzrettungsstelle

Der Abschnitt VIII weist eine klare Prozessbeschreibung auf, wie Verletzte die Rettungsstelle durchlaufen sollten: „Verletzte kommen zunächst in einen Warteraum (2) und vor dort in den ärztlichen Behandlungsraum (4)“. Die beiden an (4) angrenzenden Liegeräume (3) und (5) waren für Schwerverletzte bzw. für „innerlich Kampfstoffgeschädigte“, insbesondere Phosgenkranke vorgesehen. Leichtverletzte sollten nach einer Behandlung entweder die Rettungsstelle über den Ausgang direkt verlassen oder im Warteraum auf den Weitertransport warten.

Äußerlich Kampfstoffgeschädigte sollten im Auskleide- und Vorbehandlungsraum (6) von versuchter Kleidung befreit werden und in den Duschräumen (7) dann weiterbehandelt werden. Für die Nachbehandlung und Einkleidung mit unverseuchter Kleidung gab es den Nachbehandlungsraum (8). Für diese Patienten gab es einen eigenen Warteraum (9). Alle Ziffern in Klammern beziehen sich auf die Raumnummern der beiden oben abgebildeten Muster.

Aus der Beschreibungen der Räumlichkeiten und ihrer Nutzung wird die Konzeption der Luftschutzrettungsstellen klar ersichtlich.

Abschnitt VIII führt aus: „In den Rettungsstellen soll den verletzten und kampfstofferkrankten Personen die erste ärztliche Hilfe zuteil werden. Hier sind sofort vorzunehmende ärztliche Maßnahmen durchzuführen. Kampfstofferkrankte Personen müssen entgiftet und gegebenenfalls behandelt werden. Die Rettungsstellen sind grundsätzlich nur als Durchgangsstationen zu betrachten. Die leichtverletzten Personen sind nach Hause zu entlassen und in weitere ambulante ärztliche Behandlung zu überweisen. Personen, bei denen eine Krankenhausbehandlung notwendig ist, sind möglichst bald den Krankenanstalten durch Vermittlung des zentralen Bettennachweises zuzuführen. Für schwer Kampfstofferkrankte (Phosgenvergiftete) muss in jeder Rettungsstelle die Möglichkeit einer längeren, sich über mehrere Tage erstreckenden Behandlung bestehen.“ Rettungsstellen waren also prinzipiell nicht als Hilfskrankenhäuser zu betrachten. Sie waren als Erstversorgungseinrichtungen konzipiert, die der heutigen Notaufnahme in einer Klinik entspricht. Für einen Daueraufenthalt von Patienten oder komplexere medizinische Einrichtungen waren die Rettungsstellen nicht ausgelegt.

Weiter heißt es im Abschnitt VIII: „Um die Durchführung einer zweckentsprechenden Verteilung und Unterbringung in den Krankenhäusern zu sichern, sind grundsätzlich alle durch einen Luftangriff verletzte oder erkrankte Personen zuerst der Rettungsstelle zuzuführen. Ausnahmen (z.B. Abtransport von Großschadensstellen) bedürfen der Genehmigung des leitenden Luftschutzarztes.“

Ausrüstung (gemäß Abschnitt VIII)

„Die Rettungsstellen sind entsprechend ihrer Größe ausreichend zu versehen mit Betten oder sonstigen Liegemöglichkeiten, außerdem mit Strohsäcken, Kopfpolstern, Decken und ähnlichen Gegenständen zur Lagerung Schwerkranker.
Es müssen in genügender Zahl die zur Krankenpflege notwendigen Einrichtungsgegenstände vorhanden sein, z.B. Becken, Speischalen, Uringläser usw.
In der Rettungsstelle muss folgendes Gerät vorhanden sein: Ärztliches Behandlungsgerät für Verletzte und Kranke, ferner 1 Operationstisch, Instrumentenkocher und weiterhin die übliche Einrichtung eines Verbandszimmers (Tisch, Schrank für Instrumente, Stühle, Verbandeimer usw.), ferner Schreibmöglichkeit zur Abfassung von Berichten.
In ausreichender Menge müssen ferner Arzneimittel und Verbandstoffe vorgesehen werden, und zwar sowohl für Verletzte als auch für Kampfstoffgeschädigte. Hierfür sind zur Spezialbehandlung bereitzustellen: alkalische Augensalbe, Sauerstoff, Lobelin, Sulfoliquid, Chloramin.
Die Ausrüstungsgegenstände der Rettungsstellen müssen grundsätzlich aus dem im Luftschutz vorhandenen Gerät entnommen werden. Zusätzlich werden vom Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe folgende Geräte zur Ausrüstung der Rettungsstellen beschafft werden:
1 Operationstisch,
1 Truppenbesteck,
2 Sauerstoffinhalationsgeräte (LAB 4),
2 Sauerstoffvorratsflaschen,
4 Luftschutztragen,
je 30 Strohsäcke, Kopfpolster und Decken,
2 Flaggen mit Genfer Neutralitätszeichen.“

Personal

Die Luftschutzrettungsstellen waren jeweils mit einem Arzt, drei Helfern und acht Helferinnen besetzt.

Luftschutzrettungsstellen in Stuttgart

In jedem Luftschutzrevier sollte grundsätzlich nur eine Rettungsstelle eingerichtet werden. Nur in Ausnahmefällen sollten mehrere Rettungsstellen in einem Revier genehmigt werden.

Stand 1938 gab es in Stuttgart (damaliges Stadtgebiet) 19 Rettungsstellen:

Neues Schloß, Nordflügeleingang
Friedrichstraße 23a
Urbanstraße 18, Polizeiwache
Hölderlinstraße 36
Schloßstraße 53c, Turnhalle
Schickardstraße, Schickardschule
Heusteigstraße 105
Eckartstraße 2, Martinskirche
Erwin-Bälz-Straße 105, Degerloch
Kniebisstraße 2, Josefsheim
Gablenberger Hauptstraße 13, Neue Schule
Maurisches Schlößchen, Wilhelma, Bad Cannstatt
Kreuznacher Straße 13, Bad Cannstatt
Ulmer Straße 347, Wangen, Gemeindehaus
Lindenschulstraße, Untertürkheim, Lindenschule
Hohensteinstraße, Zuffenhausen, Horst-Wessel-Schule
Markröninger Straße, Zuffenhausen Rosenschule
Wiener Straße 102, Feuerbach
Schuhmannstraße 10, Botnang

Stand Oktober 1939 standen in den bereits eingerichteten LS-Rettungsstellen 130 Betten zur Verfügung. Das entsprach nur etwas mehr als einem Fünftel der Bettenzahl, die die Ortsanweisung von 1936 vorgesehen hatte. Diese Zahl soll sich während des Krieges auf ca. 1.300 Betten fast verzehnfacht  haben, Die Liste der Rettungsstellen änderte sich während des Krieges, unter anderem auch, weil durch die Stadt durch die Eingemeindung der Fildergemeinden weiter wuchs. Der Diakonissenplatzbunker mit der dortigen Rettungsstelle wurde erst 1941 gebaut.

Die Regelungen zur ausschließlichen Erstversorgung der bei Luftangriffen Verletzten durch die Rettungsstellen erwiesen sich für die ab 1942/43 einsetzenden großflächigen Luftangriffe auf deutsche Städte als nicht mehr praktikabel. Bei den schweren Luftangriffen auf Stuttgart im Juli und September 1944 mussten sogar die innerstädtischen Bunker und die Rettungsstellen teilweise evakuiert werden, damit die Insassen nicht darin erstickten. Der Bombenkrieg hatte sich in eine Richtung entwickelt, die 1936 noch weitgehend unvorstellbar war.