- Stollenquerschnitt im Plan vom Juli 1944. Die Gänge sollten 2 m breit und 2,30 m hoch werden. Der Plan sieht ein Betongewölbe vor.
- Die Nummerierung der Zugänge war ursprünglich Richtung Bissingen aufsteigend. Die Nummerierung wurde später geändert.
- Rechts (Mitte) zeigt der Plan den Bunker der Neckar-Enz-Stellung, der den Enzsteg sichern sollte.
- Vermauerter Zugang I (ursprünglich V) unmittelbar an der Treppe zur Wilhelmstraße.
- Die Zugänge I und II (ursprünglich IV und V) sind als einzige heute noch sichtbar, wenn auch vermauert.
- Die Reste des gesprengten Bunkers, der den Enzsteg sichern sollte, sind noch heute im Dickicht verborgen.
Der größte Luftschutz-Stollen in Bietigheim wurde ab Frühsommer 1944 in der Wobachstraße errichtet. Als Bauherr für die Anlage trat die DLW auf, das Baugesuch reichte jedoch die Daimler-Benz AG ein, die auch die Stollenpläne von ihren Architekten erstellen und von ihrem Werksluftschutzleiter abnehmen ließ.
DLW und Daimler Benz
Die DLW produzierte praktisch den gesamten Krieg über Bodenbeläge, auch für die Wehrmacht. Ihre Linoleum-Imitatböden unter der Marke „Stragula“ sind noch heute in manchen Bunkern des Atlantikwalls in Norwegen nachweisbar. Allerdings nutzte auch die Daimler-Benz AG einen Teil der DLW-Gebäude für die Fertigung von Einzelteilen von Flug- und Bootsmotoren. Die größere Verlagerung der Daimler-Benz AG in Bietigheim war freilich die Kammgarnspinnerei, deren Betrieb gänzlich stillgelegt worden war, um der Fertigung von Kolbenstangen für Schnellbootmotoren Platz zu machen.
Während die Daimler-Benz AG den dortigen Stollen komplett in Eigenverantwortung von Zwangsarbeitern errichten ließ, lieferte sie für den Luftschutzstollen in der Wobachstraße nur die Vorarbeiten und den Bauantrag. Laut Plan vom Juli 1944 war die Anlage für 1.700 Personen geplant. Sie sollte mit 5 zur Enz hin ebenerdig ausgerichteten Zugängen erstellt werden und bis zu 55 m tief in den Fels reichen. Die 5 Längsstiche sollten mit maximal 3 Querstollen verbunden werden, die Parallel hintereinander im Berg anzulegen waren, jedoch nicht alle über die gesamte Stollenbereite. Nur 1 Querstiche mit ca. 170 m länge kreuzte alle 5 Zugangsvortriebe. Die Planung sah eine Sanitätsstelle, 34 Belüfter und ca. 50 Aborte (Trockentoiletten) vor. Eine Versorgung mit Wasser war nicht vorgesehen.
Die 5 Zugänge waren vom Viadukt her nach Richtung Bissingen hin aufsteigend nummeriert. Der Plan wurde aber noch einmal überarbeitet und dabei wurde die Nummerierung geändert, so dass nun der Bissingen am nächsten liegende Zugang die Nummer I bekam.
Russische Zwangsarbeiter
Die Arbeiten am Stollen haben Zeitzeugen zufolge russische Zwangsarbeiter durchgeführt. Sowohl die Daimler-Benz AG als auch die DLW hatten russische Kriegsgefangene im Einsatz und in eigenen Lagern untergebracht. Da aber die Russen aus dem Daimler-Benz-Lager Altwasser / Grünwiesenstraße überwiegend in der Kammgarnspinnerei eingesetzt wurden, liegt es nahe, dass die Stollenarbeiten im Wobach von Zwangsarbeitern der DLW durchgeführt wurden, deren Lager im Aurain oberhalb des Stollens lag. Bei Fliegeralarm traf die Bevölkerung mit den Zwangsarbeitern zusammen. So notierte ein Zeitzeuge im Dezember 1944 in sein Tagebuch: „Im DLW Stollen sind Leute von Bissingen und der oberen Stadt gekommen, auch sind viele Russen vom DLW-Lager hier gewesen, die haben einen besonderen Eingang und sind soweit für sich.“
Der Stollen war zunächst als Werkluftschutzraum der DLW und für die Anwohner oberhalb des Bahndurchlasses beim Café Central geplant. Während der Bauarbeiten wandte sich die Stadt Bietigheim an die DLW und bat, die ursprünglich geplante Anlage größer auszuführen, da man auch noch Schutzplätze für Bahnreisende schaffen müsse. Vermutlich ist dieser Umplanung auch die Änderung der Eingangsnummerierung zuzuschreiben. Der nun mit I benannte Zugang war vom Bahnhof aus am schnellsten zu erreichen.
Der Stollenplan vom Juli 1944 dürfte demnach das Bauvorhaben am genauesten abbilden, auch wenn heute nur noch zwei der fünf vorgesehenen Zugänge identifizierbar sind. Die Anlage wurde innen teilweise ausbetoniert, teilweise beließ man die nackten Felswände, wie sie auch heute noch im Gaishalde-Stollen zu sehen sind. Ob dies einzig auf eine Unterscheidung zwischen Werksluftschutz und zivilem Luftschutz zurückzuführen ist, ist nicht mehr nachvollziehbar. Der Plan gibt hierfür keine Anhaltspunkte. Es ist gut möglich, dass Architekt und Werkluftschutzleiter im Sommer 1944 noch davon ausgingen, dass man die gesamte Anlage ausbetonieren könne, was sich dann im Zuge der veränderten Kriegslage und extremer Materialknappheit nicht mehr realisieren ließ.
Nutzung und Streit ums Geld
Im November 1944 notierte ein Zeitzeuge in seinem Tagebuch: „Der Stollen in Wobach DLW ist groß und schön, es sollen 3000 Menschen Platz haben.“ Die tatsächliche Menschenmenge, die sich dort bei Alarmen drängte, konnte nie genau ermittelt werden. Mehrere Berichte gehen von 2.500 Menschen aus, was eine 50%ige Überbelegung gegenüber dem Plan bedeutet hätte. Da im Gaishalde-Stollen ähnliche Zustände herrschten, wo im Dezember 1944 sogar 100% Überbelegung geherrscht haben sollen, dürfte die Zahl von 2.500 Menschen realistisch sein.
Mit zunehmender Zerstörung und Häufung der Angriffe auf Bietigheim im Januar – März 1945 dienten die Stollen ausgebombten Bietigheimern auch als Behausung. Eine Zeitzeugin berichtete, dass sie mit ihrer Familie im Gaishalde- und im Wobachstollen campierte. Der Wobachstollen sei ihr allerdings lieber gewesen, da habe es wenigstens Strohmatten gegeben, auf denen man schlafen konnte.
Nach dem Krieg wurde die Anlage noch zum Gegenstand einer intensiven Auseinandersetzung der DLW mit der Stadt Bietigheim. Die DLW forderte die Erstattung von Baukosten von der Stadt Bietigheim, da diese ja darauf gedrängt hatte den Stollen deutlich größer auszuführen als ursprünglich geplant. Tatsächlich waren öffentliche Luftschutzbauten von der Stadt und dem Reich zu finanzieren, und so argumentierte die DLW, sie habe im Auftrag der Stadt einen öffentlichen Schutzraum geschaffen. Die Auseinandersetzung endete mit einem Kompromiss, der zur Zahlung einer Teilsumme der Stadt an die DLW führte.
Eine Zeitlang wurde die Anlage als Pilzzucht benutzt. 1976 eröffnete Richard Hohly in dem Stollen die „Felsengalerie“, in der er seine Werke zeigte. Der 1902 in Löwenstein geborene Künstler war Mitglied der Berliner Sezession um Pechstein, Corinth, Nolde, Slevogt, Liebermann u.a. gewesen und 1936 auf die Liste der „entarteten Künstler“ gesetzt worden. Im gleichen Jahr wurde er von seiner Position als Kunstlehrer in Leonberg entfernt und nach Bietigheim versetzt. Er war von 1941 -45 Kriegsteilnehmer (Ukraine, Stalingrad, Frankreich) und lebte nach dem Krieg bis zu seinem Tod am 11.04.1995 in Bietigheim-Bissingen. Hohly gilt als einer der letzten Expressionisten Süddeutschlands.
Im Rahmen der Gestaltung des Landesgartenschaugeländes wurden die noch verbliebenen Eingänge I und II 1988 zugemauert, jedoch Einflug-Öffnungen für Fledermäuse offen gelassen. So sollte der Stollen einer Fledermauspopulation als Rückzugsraum dienen. Für die Öffentlichkeit ist die Anlage nicht zugänglich.