Bedingt durch den Einsatz von Giftgas an den Fronten des 1. Weltkriegs rechneten die Staaten Europas in den 1920er und 1930er Jahren damit, dass in einem künftigen Krieg auch Gas gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden würde. Entsprechend wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um den Schutz vor Gasangriffen zu gewährleisten. Eine Zusammenfassung der Luftschutzmassnahmen in Frankreich gibt es hier.
Um eventuell eingesetztes Giftgas am Ort eines Luftangriffs aufspüren zu können, waren Gasspürtrupps aufgestellt worden, die aus jeweils 16 Mann bestanden. Sie waren mit Schutzanzügen, Gasmasken und Gasspürgeräten ausgestattet. Spezielle Entgiftungsparks sollten die Möglichkeit bieten, alles, was beim Einsatz mit giftigen Substanzen in Kontakt gekommen war, zu entgiften.
Da es zu keinen Gasangriffen auf die Bevölkerung kam, bestand die Aufgabe der Gasspürer im Verlaufe des Krieges vor allem in der Erstbegehung des Einsatzgebiets, wo zwar keine chemischen Kampfstoffe zu erwarten waren, aber dennoch unterschiedlichste Gase, die bei den Bränden entstanden, oder auch Giftstoffe, die bei Bombentreffern auf Industriebetriebe und Werkstätten freigesetzt worden waren.
Auch die Entgiftung der Ausrüstung blieb ein elementarer Bestandteil der Rettungsarbeiten des SHD. Mit der zunehmenden Intensivierung des Luftkrieges nahm auch die Zahl der Todesopfer zu und somit gerieten die Kräfte des SHD und ihre Ausrüstung vermehrt mit Leichen in Kontakt. Auch nach solchen Einsätzen musste die Ausrüstung gereinigt und für den nächsten Einsatz aufbereitet werden.
Bis Kriegsende entstanden in Stuttgart vier Entgiftungsparks. Allerdings gerieten sie bis auf den Entgiftungspark Im Vogelsang 10 (Westbahnhof) schon bald nach dem Krieg in Vergessenheit.
Im Vogelsang 10
Anfang 1939 war in Stuttgart mit dem Bau der ersten Luftschutzanlagen begonnen worden. Im Mai erhielt die Stadt vom RLM den Auftrag zur Bereitstellung eines Geländes zum Bau eines Entgiftungsparks. Diese Einrichtung sollte der Feuerlöschpolizei unterstellt werden.
Die Stadt Stuttgart stellte für den Entgiftungspark ein Grundstück am Westbahnhof bereit, das im Besitz der Stadt verblieb und vom Reich bis 1941 mit einem Aufwand von 600.000 RM bebaut wurde. Ähnliche Regelungen gab es z.B. beim Bau des Winkelturms am Bahnhof Untertürkheim.
Das Hauptgebäude hatte einen L-förmigen Grundriss mit mehreren Einstellplätzen für Einsatzfahrzeuge und Büroräumen. Es gab Duschen für die Einsatzkräfte, Reinigungsbecken für die Ausrüstung, im Außenbereich einen Platz, an dem die Fahrzeuge gereinigt und mit Wasser abgespritzt werden konnten, sowie auch ein Becken, in dem Pferde gewaschen werden konnten. Eine leistungsfähige Koksheizung sorgte für die Bereitstellung von ausreichend heißem Wasser. Im Obergeschoß des Hauptgebäudes befanden sich die Stuben der Mannschaften. Das Gebäude war nur teilunterkellert. Als Luftschutzmaßnahme wurde unmittelbar hinter dem Hauptgebäude ein Stollen in den Hang getrieben, der quer in der Böschung lag.
Am 19.10.1942 beantragte der Leitende Chemiker eine Befestigung des Bodens, vermutlich mit Asphalt, die am 26.10. wegen Treibstoffmangels bei der örtlichen Luftschutzleitung abgelehnt wurde. Eine vollständige Asphaltierung des Hofes erfolgte nicht.
Nach Kriegende wurde das Anwesen von den Amerikanern beschlagnahmt und an die jüdische Gemeinde weitergegeben. Sie hatte um Erstellung eines Bads für rituelle Waschungen gebeten. Der gekachelte Entgiftungsraum konnte als Behelfslösung dienen.
Am 22. August 1949 wurde das Gebäude an die Stadt zurückgegeben. Diese brachte ab 1953 Flüchtlinge in den Stuben unter. Die Garagen wurde zur Einlagerung von Möbeln und anderen Gegenständen genutzt. 1955 baute das Hilfswerk der Landeskirche Württemberg noch einen Lagerschuppen auf dem Areal. Offenbar hatte sie die Betreuung der Flüchtlinge von der Stadt Stuttgart übernommen.
Ab den frühen 1960er Jahren wurde der Entgiftungspark am Westbahnhof wieder von der Feuerwehr und dem Technischen Hilfswerk benutzt und erst um die Jahrtausendwende aufgegeben. 2012 wurden die Gebäude abgerissen.
Die lange Nutzung durch das THW und der inzwischen verfüllte Luftschutzstollen im Hang haben dazu beigetragen, dass der Entgiftungspark am Westbahnhof nicht vollständig in Vergessenheit geriet.
Fangelsbachstraße 1a
In der Fangelsbachstraße 1a wurde ein Ausweichpark eingerichtet, der offenbar genutzt werden sollte, wenn der E-Park am Westbahnhof nicht mehr einsatzfähig war. Zu diesem Entgiftungspark ist praktisch nichts bekannt. Das Areal wurde während der Juli-Angriffe 1944 schwer getroffen. Die Einrichtung war aber danach offenbar noch intakt, da sie im Dokument vom 04.10.1944 noch gelistet war. Während das Eckhaus Tübinger/Fangelsbachstraße noch heute steht, wurden die benachbarten Gebäude im Laufe der Zeit durch Neubauten ersetzt.
Cannstatter Straße 80
Teile der Gebäude des Entgiftungsparks Ost stehen bis heute. Das Areal wird seit langem von der Abfallwirtschaft der Stadt Stuttgart genutzt. Das ehemalige Hauptgebäude des E-Parks dient auch heute noch als Garagentrakt, wenn auch nicht mehr für Fahrzeuge des Katastrophenschutzes, sondern der Müllabfuhr. Die Zufahrt zum Gelände wurde in die Heinrich-Baumann-Straße verlegt, auch wenn es noch immer eine Ausfahrt zur Cannstatter Straße gibt.
Anders als am Westbahnhof wurden in der Cannstatter Straße umfangreiche Luftschutzkeller angelegt. Von diesen gab es einen Durchbruch zu den Kellerräumen des benachbarten Gebäudes des früheren Arbeitsamts.
Leobener Straße 84
Der Entgiftungspark für Stuttgart-Nord wurde in Feuerbach angelegt. Vereinzelt wird die Adresse der Feuerwache 4 (offizielle Adresse Bregenzer Straße 47) oder des Hallenbads / Louis-Leitz-Schule (Wiener/Leobener Straße) angegeben. Der Entgiftungspark wurde aber eher am Siedlungsrand eingerichtet, auf einem Grundstück unweit des Bauunternehmens Fahrion und dem Feuerbacher Werk der Robert Bosch GmbH. Von dem Entgiftungspark ist dort heute nichts mehr zu sehen. Das Areal ist größtenteils neu bebaut und wird teilweise von einem Bauunternehmen genutzt.