
Postkarte aus dem 1. Weltkrieg. Gefangene französische Soldaten arbeiten bei den Schiessständen der Stuttgarter Schützengilde in Heslach.
Schon seit den 1890er Jahren herrschte in Deutschland bedingt durch die Industrialisierung ein zunehmender Arbeitskräftemangel. Vor allem in den Industriezentren im Ruhrgebiet und Oberschlesien herrschte ein beständiger Bedarf an Arbeitskräften. Diese Regionen zogen im erheblichen Umfang Arbeitskräfte aus der mitteldeutschen Landwirtschaft ab, da in der Industrie mehr Geld zu verdienen war. Eine Folge dieser Entwicklung war eine Verschärfung des ohnehin schon bestehenden Mangels an Arbeitskräften in der Landwirtschaft.
Heute kaum noch bekannt ist, dass Deutschland vor dem 1. Weltkrieg der zweitgrößte Importeur von Arbeitskraft war, nach den USA. Von den 1,2 Millionen ausländischen Arbeitskräften waren allerdings fast eine Million in Preußen beschäftigt, wo sie als billige Arbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt waren.
Über 87% dieser Arbeiter waren russisch-polnischer Herkunft, die nur saisonal nach Deutschland geholt wurden. Ihre Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis war an die Arbeitsstelle gebunden und befristet. Auf diese Weise konnte die Rückkehr in die Heimat weitestgehend gewährleistet und ein unerwünschter dauerhafter Zuzug verhindert werden.
Mit Beginn des Krieges 1914 änderte sich diese Situation erheblich. Von 1914-18 wurden in Deutschland über 13 Millionen Männer zum Militär eingezogen. Sie alle waren im erwerbsfähigen Alter und die meisten davon waren bis zur Einberufung erwerbstätig.
Das deutsche Reich musste also neben dem schon vor dem Krieg herrschenden Mangel an Arbeitskräften auch den Ausfall von 13 Mio. weiteren Arbeitskräften ausgleichen.
Im September 1914 erging der Beschluss, alle polnisch-russischen Arbeitskräfte in Deutschland zu behalten. Faktisch wurde ihnen eine Rückkehr in die Heimat für die Dauer des Krieges verwehrt. Diese Maßnahme traf nicht nur Männer im wehrfähigen Alter, die damit auch dem Dienst in einer nun feindlichen Armee entzogen wurden, sondern in erheblichem Umfang auch Frauen, die über die Hälfte der landwirtschaftlichen Arbeiter stellten. Dieses Rückreiseverbot wurde erst nach Kriegsende im November 1918 aufgehoben. Auf diese Weise wurden bis Kriegsende über 500.000 Arbeitskräfte aus polnisch-russischen Gebieten im Kaiserreich gehalten.
Den Arbeitskräftemangel in der Industrie linderte dies freilich nicht. Obwohl man in den Fabriken zunehmend Frauen und Kinder beschäftigte, kam es durch den Widerstand der SPD und der Gewerkschaften nicht zu der von Hindenburg und Ludendorff ab 1916 angestrebten totalen Mobilisierung der Bevölkerung für die Kriegswirtschaft („vaterländischer Hilfsdienst“). Stattdessen sollte die Anwerbung freiwilliger Arbeitskräfte in den besetzten Gebieten forciert werden.
Allerdings drängten Hindenburg und Ludendorff klar darauf, die benötigten Arbeitskräfte notfalls auch mit Zwangsmaßnahmen zu rekrutieren. Vor allem in Belgien und dem Generalgouvernement Warschau sollten Arbeitskräfte in großem Umfang der deutschen Kriegsproduktion zugeführt werden. Nachdem man im Winter 1916 / 1917 rund 61.000 Belgier zur Arbeit nach Deutschland deportiert hatte, sah sich das Kaiserreich international heftigen Protesten ausgesetzt. Die Verschleppungen wurden daraufhin im Februar 1917 abgebrochen.
In den folgenden Monaten wurden nun die Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten verschlechtert um so „Freiwillige“ für den Arbeitseinsatz zu gewinnen. Auf diese Weise konnten nach Februar 1917 rund 100.000 Belgier neu angeworben werden. Aus dem Generalgouvernement Warschau kamen von Oktober 1916 bis Kriegsende noch weitere 16.000 Menschen hinzu.
Das größte Kontingent an ausländischen Arbeitskräften bildeten aber die 2,5 Millionen Kriegsgefangenen. Während die ca. 1 Mio. Gefangenen aus den westlichen Feindstaaten überwiegend in der Industrie eingesetzt wurden, arbeiteten die Kriegsgefangenen aus den östlichen Feindstaaten fast ausschließlich in der Landwirtschaft.
Diese Aufteilung galt auch für die Zivilarbeiter, die teilweise aber auch im Frontbereich bei Baumaßnahmen eingesetzt wurden. So kamen über 500 Zwangsverpflichtete aus Lodz bei Arbeiten im Bereich der Ostfront um. Sie waren im Oktober 1916 verhaftet und deportiert worden.
Obwohl diese Arbeitseinsätze die deutsche Kriegsfähigkeit stark verbesserten konnten sie aber letztlich den Mangel an Arbeitskräften nur teilweise ausgleichen, den die Einberufungen an die Front verursachten. Auch der Rohstoffmangel durch die britische Seeblockade und die durch Missernten sich verschärfende Hungersnot ab 1917 konnten durch Zwangsarbeit nicht behoben werden.
In Stuttgart waren auch zahlreiche französische Kriegsgefangene im Einsatz. So wurde ein Kontingent in der Dragoner-Kaserne in Cannstatt untergebracht, das dort u.a. den Weinberg unterhalb der Kaserne neu anlegen musste. Unser Bild zeigt französische Kriegsgefangene bei Arbeiten bei den Schiessständen der Stuttgarter Schützengilde in Heslach.
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