Marktplatzbunker

Unmittelbar nach dem Führererlass vom 10. Oktober 1940, der den Bau von bombensicheren Luftschutzräumen im großen Ausmaß verfügte, nahm sich die Stadt Stuttgart des Themas an. So fand eine Begutachtung möglicher Bunkerstandorte am 29. Oktober 1940 statt.

Zur Ermittlung des Bedarfs an Luftschutzräumen wurde die Wohn- und Arbeitsplatzdichte zugrunde gelegt. Planungen, auf denen nun aufgebaut werden konnte, lagen bereits seit 1933 vor. Als nächstes wurden die folgenden sieben Standorte in der Stadt als vordringlich festgelegt: Die von Arbeitern der Rüstungsindustrie stark frequentierten Bahnhofsvorplätze in Feuerbach und Untertürkheim, der Wilhelmsplatz in Bad Cannstatt, der öffentliche Platz bei der Raitelsbergsiedlung, der Wilhelmsplatz in der Stuttgarter Altstadt, der Platz Ecke Lautenschlager-/Kronenstraße, und der Marktplatz.

Planung und Bau

Im Protokoll vom 30. Oktober 1940 wird festgehalten, dass „Für die Belegschaft der um den Marktplatz vorhandenen großen Geschäfte wie Breuninger sowie für die Sicherung der Marktplatzbesucher (…) weitere Luftschutzräume in bombensicherer Form zu erstellen“ sind. Für den Marktplatz wird eine komplette Unterkellerung vorgeschlagen, die in zwei Bauabschnitten erfolgen sollte. Eine spätere friedliche Nutzung als Tiefgarage sollte möglich sein. Diese Perspektive für eine Nachkriegsnutzung wurde noch in die Planungen einbezogen. Demnach sollten 68 Stellplätze mit Zufahrten von der Stiftskirche und der heutigen Nadlerstraße entstehen. Bei der Realisierung der Bauarbeiten wurde diese nachhaltige Verwendung jedoch nicht mehr berücksichtigt. Vielmehr wurde der Fokus auf eine beschleunigte Fertigstellung gelegt.

Das Bauwerk sollte ursprünglich 1.010 Personen Schutz bieten. Dafür waren 12.000 cbm Erdreich auszuheben und 8.500 cbm Beton zu verarbeiten. Die Baukosten wurden mit 1,3 Millionen Reichsmark beziffert. Der Bauauftrag wurde an das Stuttgarter Bauunternehmen Züblin vergeben. Die Firma baute nicht nur den Bunker unter dem Marktplatz, sondern auch den Luftschutzstollen für die Stadtverwaltung hinter dem Rathaus, der ebenfalls noch heute exisitiert. Er wurde vollständig in Beton ausgeführt und hat einen parabelförmigen Querschnitt.

Am 23. November 1940 begannen die Erdarbeiten am Marktplatz. In offener Bauweise wurde eine Grube ausgehoben, die fast den gesamten Marktplatz umfasste. Am 10. März 1941 begannen die eigentlichen Bauarbeiten (Stahlbetonbau). Am 15. Juni 1941 hatte der Stuttgarter Luftschutzreferent Oberbaurat Scheuerle die Meldung über die Fertigstellung.

Der fertige Bunker misst ohne Zugänge 50,60 m auf 37,60 m bei einer Raumhöhe von 2,65 m. Die Außenwände sind 1,8 m dick, die Decke 2,0 m. darüber liegt eine Überdeckung von einem Meter. Im Inneren wurde der Schutzraum in 96 Kabinen zu je 2,9 m x 2,04 m unterteilt, die als gegenüberliegende 12er-Reihen über vier 1,4 m breite Flure erschlossen sind. An den beiden Enden der mittleren Doppelreihe sind die insgesamt vier Räume etwas größer ausgeführt (3,1 m x 2,45 m). Die Innenwände weisen einen Durchmesser von 0,4 m auf. Die Sohle des eingeschossigen Bauwerks ist 1,4 m dick.

An den schmalen Erschließungsseiten im Nordwesten (Richtung Schulstraße)und Südosten (Richtung Breitling/Breuninger) liegen die Technikräume für Belüftung, Heizung, Pumpen und Schleusen, sowie vier Aufenthaltsräume mit ca. 5 m x 10 m Grundfläche. Diesen Seiten vorgelagert waren die vier Treppenzugänge.

Luftschutz und Feuersturm

Mitte 1941 standen im Stuttgarter Zentrum sieben unterirdische Bunker mit 3.325 Schutzplätzen (Planungsstand) zur Verfügung, von denen der Marktplatzbunker mit Abstand der größte war. Angesichts der zunehmenden Heftigkeit der Luftangriffe durch die Alliierten zeigte sich, dass die Keller von Häusern in vielen Fällen nicht mehr ausreichend Schutz boten. So füllten sich die öffentlichen Bunker mit immer mehr Schutzsuchenden. Schließlich drängten sich bei Fliegeralarm bis zu 3000 Menschen im Marktplatzbunker.

Dieser überstand zwar die Bombardements unbeschadet, hatte aber offenbar ein Lüftungsproblem, als durch den Großangriff in der Nacht vom 25./26. Juli 1944 in der Innenstadt ein Feuersturm entstand. In ihrem Zeitzeugenbericht (http://www.von-zeit-zu-zeit.de/index.php?template=bild&media_id=3515&ref=latestmedia) beschreibt Martha Birk, wie der Marktplatzbunker, in dem ihre Eltern Zuflucht gesucht hatten, im letzten Augenblick evakuiert wurde. Offenbar sollte verhindert werden, dass die Insassen durch den enormen Sauerstoffverbrauch des Feuersturms im Bunker ersticken. Für die Schutzsuchenden begann ein Wettlauf mit dem Tod. Die Eltern rennen durch die brennende Kirchgasse, lassen ihre Koffer und Taschen in den Straßen zurück, damit sie sich mit den Händen vor dem Funkenflug und brennenden Holzstücken schützen können. Die Flucht durch die Grünanlagen führt über das ebenfalls brennende Bad Cannstatt bis nach Wurzach.

Bunkerhotel und Zivilschutzplanung

Die Bausubstanz des Bunkers nahm durch die Bombardements keinen Schaden. So diente er gegen Kriegsende auch teilweise als Notunterkunft für Ausgebombte. Bereits im Sommer 1945 erfuhr er seine neue Nutzung. Die Hoteliersfamilie Zeller pachtete das Objekt als Ersatz für ihr zerstörtes Mess-Hotel und eröffnete das „Hotel am Rathaus“. Hotelkapazitäten waren im Nachkriegsdeutschland Mangelware. Von den 20 großen Hotels in Stuttgart hatten nur das „Reichsbahnhotel“, das „Hotel Graf Zeppelin“ und das „Hotel Ketterer“ den Krieg überstanden. Von einstmals 3.600 Fremdenbetten waren 1945 noch 300 übrig. 1950 wurde das „führende Bunkerhotel Deutschlands“ in „Hotel am Marktplatz“ umbenannt. Unter diesem Namen blieb es bis zur Schließung am 31. Oktober 1985 in Bewirtschaftung der Familie Ketterer.

Bereits 1979 hatte das städtische Amt für den Zivilschutz das Bauwerk in seine Aufstellung öffentlicher Schutzbauwerke in Stuttgart aufgenommen. 1987 sollte es in Bonn zur Nutzbarmachung als Zivilschutzanlage angemeldet werden. Im April 1990 lagen die Ausführungspläne für die Instandsetzung vor. Nach Abschluss der Arbeiten am Bunker „Im Degen“ sollte mit der Modernisierung des Marktplatzbunkers begonnen werden. 1,5 Mio. DM waren für das Vorhaben veranschlagt. Durch die veränderte politische Lage wurden die Bundesmittel hierfür jedoch gestrichen. Die Modernisierung unterblieb. 1992 gab der Bund den Bunker an die Stadt Stuttgart zurück.

Projekte zur weiteren Nutzung

1995 lobte der Juwelier Franz Eppli in Absprache mit der Stadt Stuttgart den Ideenwettbewerb „Neuer Bunkerzugang“ aus. Seine Idee war es, das Bauwerk als unterirdische Einkaufspassage zu erschließen. Juweliere, Mode- und Auktionshäuser, aber auch ein gastronomischer Betrieb sollten unter dem Marktplatz angesiedelt werden, und dem einstigen Luftschutzbau neues Leben einhauchen.

Aus dem Kreis der 12 teilnehmenden Architekturbüros gewann das Büro Neugebauer & Rösch den ersten Preis. Sie schlugen ein markantes und großzügiges Glasprisma im Süden des Marktplatzes vor, das an die Stelle der dortigen Eingangstreppen getreten wäre und dem Marktplatz einen architektonischen Blickfang beschert hätte. Letztlich scheiterte das gesamte Projekt 1997 an unvereinbaren Positionen innerhalb der involvierten Geschäftsleute und auch innerhalb des Gemeinderats. Zuvor hatte sich noch der BDA für das Projekt stark gemacht.

Als einzige Initiative resultierte aus dem Wettbewerb die Entfernung des teilverglasten überdachten Treppenabgangs zum ehemaligen Hotel 1997/1998 für die 70.000 DM aufgewendet wurden. Es war der Beginn vom Vergessen des Marktplatzbunkers.

Nicht unerwähnt bleiben sollen freilich die durchaus vorhandenen Versuche, den Bunker weiterhin zu nutzen. Hierzu gehört der städtische Plan für ein „Haus des Buches“ in den Bunkerräumen, der ebenfalls in der Zeit um 1997 entwickelt wurde, als auch ein Vorstoß der „Freien Wähler“ dauerhaft ein Museum darin zu errichten.

Im März 2005 lobte die Stadt einen Wettbewerb zur Oberflächen- und Lichtgestaltung des Marktplatzes aus, an dem 34 Architekten teilnahmen. Der Bunker unter dem Marktplatz war darin kein Bestandteil.