Winkeltürme

Der Hochbunker am Bahnhofsplatz in Feuerbach ist eines der bemerkenswertesten erhaltenen Luftschutzbauwerke in Stuttgart. Das vor Ort gelegentlich als „Spitzbunker“ titulierte Gebilde ist der letzte seiner Art in der Region. Während des Krieges gab es im Stadtgebiet vier solcher Bunker. Die offizielle Bezeichnung lautet Luftschutzturm Bauart Winkel, benannt nach dem Konstrukteur Ludwig „Leo“ Winkel.

Konstruktionen von Leo Winkel

Der gebürtige Kölner, Jahrgang 1885, hatte nach einer Ausbildung zum Baumeister und einem Architekturstudium zunächst bei der Thyssen AG eine Karriere begonnen. 1936 gründete er eine Firma zum Bau von Luftschutztürmen.

Für die Türme meldete er zwei Patente (1934 und die verbesserte Version 1938) an. Bis Kriegsende wurden in Deutschland und Österreich rund 200 Luftschutztürme Bauart Winkel errichtet, von denen die meisten inzwischen nicht mehr existieren. Üblicherweise wurden sie nicht von der Firma Winkel & Co., Duisburg realisiert, die im Wesentlichen als Planungs- und Konstruktionsbüro fungierte. Die Ausführung oblag Bauunternehmen, die die Türme in Lizenz errichteten. Winkel & Co. vergab Lizenzen an 12 Unternehmen.

2010 gab es Winkeltürme noch an rund 80 Orten in Deutschland, die freilich nicht alle identisch sind.

Unterschiedlichen Quellen zufolge gab es 4 oder 5 verschiedene Typen, die sich in Ausführung, Größe und dadurch auch im Fassungsvermögen unterschieden. Das liegt daran, dass sowohl von Winkel, als auch seitens der mit dem Luftschutz befassten Behörden eine entsprechende, begrenzte Variation vorgesehen war. Gemäß vorläufiger Vertriebsgenehmigung von 1936 waren Bauwerke mit 400, 315, 247 oder 168 Schutzplätze vorgesehen. Diese basierten auf dem Patent Nr. 568344 vom 18. September 1934 beim Reichspatentamt, das für einen Turm mit 7 oberirdischen und zwei unterirdischen Stockwerken und Raum für 200 Personen erteilt wurde.

Daraus ergab sich folgende Typisierung:
TYP 1 für 400 Personen
TYP 2 für 315 Personen
TYP 3 für 247 Personen
TYP 4 für 168 Personen mit 5 Geschossen

Der anfängliche Kostenvorteil (Errichtungskosten in Reichsmark pro Schutzplatz) gegenüber unterirdischen Bauwerken war aber auf Dauer nicht ausreichend. Vor allem die Eisenarmierung der Bewandung wurde angesichts des ungeheuren Stahl- und Eisenbedarfs der auf Rekordaufrüstung ausgerichteten Wirtschaft zum Kritikpunkt.

Die Konsequenz war eine überarbeitete Version des Luftschutzturms, der am 22. Februar 1938 unter der Patentnummer 702711 zugelassen wurde. Um die Baukosten zu reduzieren sah er keine unterirdischen Stockwerke mehr vor. Die Bewandung wurde völlig neu konzipiert. Als Ausgleich für die entfallene Eisenarmierung wurden die Wanddicken deutlich vergrößert. Lediglich die Decken waren in Stahlbeton ausgeführt.

Diese Version wurde z.B. von der Firma Franz Brüggemann in fünf Varianten angeboten:

Turm 1 für 500 Personen
Turm 2 für 391 Personen
Turm 3 für 305 Personen
Turm 4 für 220 Personen
Turm 5 für 164 Personen

Damit sind eigentlich neun Varianten möglich. Die Dachkonstruktionen der Winkeltürme wurden in zwei Typen unterschieden:

Kenn-Nummer RL 3-40/5: „Zuckerhut-Form“
Kenn-Nummer RL 3-40/1: Kegelförmiges Dach (Typ IIc)

Die 1940 vergebenen RL-Nummern legen nahe, dass diese Unterscheidung nur für die fünf Varianten gemäß Patent vom 22. Februar 1938 eine Rolle spielten.

In Stuttgart wurden Winkltürme gebaut
am Bahnhof Feuerbach,
am Wilhelmsplatz Bad Cannstatt,
am Bahnhof Untertürkheim (Karl-Benz-Platz),
am Martin-Schrenk-Weg in Untertürkheim.

Um „schnellste Füllung“ (Originalwerbung Fa. Winkel) zu erreichen, haben Winkeltürme üblicherweise zwei Eingänge auf unterschiedlicher Höhe an gegenüberliegenden Seiten. Die oberen Eingänge wurden meist über Holztreppen erreicht. Viele erhielten zusätzlich festmontierte Leitern aus Stahl, die im Falle eines Treffers der Holztreppe den Ausstieg aus der oberen Türe sicherstellen sollten.

Die innere Ausstattung der Winkeltürme variierte stark. Da diese Bunkerform in erster Linie nicht für die Aufnahme der Zivilbevölkerung eines Wohngebiets errichtet wurde, war sie im Innern in vielen Fällen äußerst schlicht und unkomfortabel.

Die meisten Winkeltürme wurden für die Deutsche Wehrmacht (z.B. in Kasernen), in Industrieanlagen oder auf Bahnterritorium errichtet. Ihre Funktion war der Schutz von Truppenteilen, Arbeitern, Bahnpersonal sowie von Reisenden.

Die oft sehr schlanken eisenarmierten Typen erhielten in vielen Fällen ein „Treppenhaus“ in der Bauwerksmitte, das aus fast leiterartigen, steilen Holztreppen bestand. Für die späteren Typen propagierte Winkel versetzte Halbgeschosse sowie Sitztreppen.

Allen Winkeltürmen gemein ist die Anordnung der Treppenkonstruktion um einen in der Bauwerksmitte senkrecht angeordneten Versorgungsstrang, der mindestens die Belüftung und Elektrik enthielt, z.T. auch eine Abwasserleitung.

Für die Belüftung gab es in der Bunkerwand verschließbare Öffnungen, die einen natürlichen Durchzug schafften. Waren sie geschlossen, musste über einen Kompressor im obersten Stockwerk des Turms die Belüftung mit Muskelkraft – in manchen Fällen mit Elektromotor – sichergestellt werden. Die Filteranlagen waren direkt über dem Kompressorraum in die Turmspitze eingebaut. In den frühen Typen war die Technik in den untersten Geschossen untergebracht.