Am Seelachwald

Im Nordwesten Stuttgarts liegt, als Teil von Weilimdorf, die Wolfbuschsiedlung. Bis zum Bau der B295 in den 80er Jahren lag die Siedlung etwas abgelegen und idyllisch zwischen der Solitudestraße, dem Neuen Friedhof und Feldern.

Mit der Eingemeindung Feuerbachs und Weilimdorfs am 1.Mai 1933 konnte die Stadt Stuttgart den Korridor zwischen dem historischen Stadtgebiet und dem bereits 1931 eingemeindeten Zuffenhausen schließen. Die Eingemeindungen erschlossen auch Raum für neue Siedlungsprojekte, den die neuen Machthaber unverzüglich nutzten. So entstand im Wolfbusch von 1933 – 38 eine Siedlung mit 105 Kleineigenheimen von 53 – 68 m2 Wohnfläche zzgl. Keller und Waschküche, die als beispielhaft für die nationalsozialistische Siedlungsarchitektur gilt.

Baubeginn und Kriegsalltag

Wie die meisten Siedlungen, die in Stuttgart im Nationalsozialismus entstanden, erhielt auch die Wolfbuschsiedlung einen Bunker. Er wurde als Hochbunker an der Ecke Am Seelachwald / Frauenholz errichtet. Diesem Standort verdankt die offiziell nüchtern als Bauwerk 126 geführte Luftschutzanlage ihren Namen in der Bevölkerung: „Seelachbunker“.

Der Bunker war in der Auftragsvergabe vom November 1940 enthalten, auf die die meisten Hochbunker zurückgehen. 1941 wurde gebaut. Wie sein weitgehend identischer Bruder in der Sickstraße wurde er mit Naturstein verkleidet, um die wuchtige Betonkonstruktion besser in das Siedlungsbild einzupassen. Das ursprünglich vorgesehene Pyramidendach ist nicht erhalten.

Das Bauwerk weist einen fast quadratischen Grundriss mit 235 m2 auf. Mit vier oberirdischen Stockwerken überragte die Luftschutzanlage die in Reihen gebauten Siedlungshäuschen deutlich. Die Stockwerke sind innen in jeweils rund zehn Räume unterteilt. Zusätzlich ist ein Untergeschoss vorhanden, in dem die gesamte Technik untergebracht ist. Der Bunker verfügte über eine Heizung, elektrisches Licht, eine Filter- und Lüftungsanlage, Toiletten, sowie Anschlüsse an Stadtwasser und die Kanalisation.

Bis zu den Juli-Angriffen 1944 überstand die Wolfbuschsiedlung den Krieg relativ unbeschadet. Gleichwohl hatte sich die demographische Zusammensetzung der Belegung des Bunkers beständig geändert. Nur noch Kinder, Frauen und die Ältesten, die nicht mehr „wehrfähig“ waren, konnten bei Fliegeralarm den Schutz der Anlage suchen. Die wehrfähigen Männer waren längst an der Front und die Hitlerjungs und älteren Mädchen als Flakhelfer, im Sanitätsdienst oder anderweitig im Einsatz.

Doppelschlag gegen Weilimdorf

Seine bis dahin schwerste Belastungsprobe erlebte der Seelachbunker beim Doppelangriff auf Botnang, Weilimdorf und Feuerbach am 28. Januar 1945, bei dem auch Weilimdorf schwere Schäden davontrug und zahlreiche Einwohner obdachlos wurden. Es sollte nicht die letzte sein.

Weilimdorf hatte im Oktober 1944 seinen ersten schweren Angriff erlebt. Die Einwohner sahen sich dabei als Opfer der Scheinanlage, im Bereich der heutigen Wohngebiete Hausen, Giebel und Wolfbusch. Sie verleitete zwar die Bomberpiloten bei mehreren Angriffen zum Abwurf ihrer Last vor Erreichen der Stuttgarter Innenstadt. Die Bomben fielen aber nicht nur, wie von deutscher Seite beabsichtigt, auf unbewohntes Feld, sondern unter anderem auf Gerlingen, Weilimdorf, Wolfbusch und Korntal.

In der Nacht des 28. Januar 1945 wurde auf diese Weise das Gebiet von Weilimdorf, Wolfbusch, Bergheim, Feuerbach und Botnang von 602 britischen Bombern verwüstet, die in zwei Wellen angriffen. Es war ein Sonntag. In einem Bericht im Weilimdorfer Anzeiger vom 25. Januar 1952 beschrieb Fritz Rose diese Angriffe aus Sicht der Weilimdorfer Bevölkerung. So fanden Siedler aus dem Wolfbusch, die zu spät zum Bunker kamen, die Türen verschlossen und drückten sich verzweifelt gegen die Bunkermauern. Einige von ihnen werden unter den 25 Todesopfern gewesen sein, die der Angriff unter der Bevölkerung Weilimdorfs forderte, „die toten fremden Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter nicht gerechnet“. Denn die „starken Luftdruckwellen wurden durch die Belüftungsrohre bis ins Innere des Bunkers getragen“, schreibt Rose. Wer da nicht im Bunker war, hatte kaum Chancen zu überleben.

Die Franzosen kommen

Während Stuttgarts Oberbürgermeister Strölin mit Vertretern der Industrie an einer kampflosen Übergabe der Stadt an die Alliierten arbeitete, richteten sich in Weilimdorf Soldaten der Wehrmacht zum Abwehrkampf ein. An der Solitudestraße beim Turnplatz Wolfbusch waren Panzersperren errichtet worden. Bei Kallenberg sollte eine „Riegelstellung“ eingerichtet werden und auch in Gerlingen wurden neben der Autobahn Schanzarbeiten begonnen.

Es kursieren Darstellungen, wonach die von der Ditzinger Straße heranrückenden französischen Verbände die Gegend drei Tage lang mit Artillerie beschossen haben sollen. Zeitzeugen berichten, es habe ununterbrochen Schrapnells geregnet. Die gesamte verbliebene Bevölkerung Wolfbuschs hielt sich währenddessen im Hochbunker auf, der ursprünglich für eine so lange Verweildauer überhaupt nicht ausgelegt war. Die Handbetriebenen Lüftungen mussten permanent bedient werden, um die Frischluftzufuhr in das Bauwerk nicht abreißen zu lassen.

Die französischen Truppen konnten aber erst am 20. April Bietigheim komplett einnehmen von wo aus sie über Ditzingen am Morgen des 21. April auf Weilimdorf vorrückten, nach Beschuss durch deutsche Schwere Flak aber den Vormarsch zunächst stoppten. Aus dem Wolfbusch sind Zeitzeugenberichte von Schrapnellbeschuß überliefert. Das Artilleriefeuer stammte allerdings von den deutschen schweren Flak-Batterien auf dem Burgholzhof und in Kornwestheim, die beide an diesem Morgen Sperrfeuer vor Weilimdorf legten, um ihre restlichen Munitionsbestände zu verfeuern, bevor die Batterien aufgegeben wurden.

Gegen Mittag des 21. April 1945 setzte sich der letzte deutsche Soldat in den Wald in Richtung Feuerbach ab. Da der NS-Ortsvorsteher sich dennoch weigerte, den Luftschutzstollen zu verlassen, um mit den Franzosen Kontakt aufzunehmen, ergriffen die beiden Weilimdorfer Adolf Notter und Eugen Müller aus der Florian-Geyer-Straße sowie die Zwangsarbeiter Louis Moise Bouleau und Augustin Leclercq. Bouleau am frühen Nachmittag die Initiative. Die beiden Franzosen waren auf dem Hof von Emma Hummel eingesetzt gewesen. Nun schritten sie mit den beiden Deutschen ihren Landsleuten mit einem weißen Tuch entgegen, und teilten ihnen mit, dass die Wehrmacht den Ort verlassen hatte.

Kriegsende und danach

Danach ging alles sehr schnell: Bunkerkommandant Scholl übergab den Seelach-Bunker und dessen Insassen an die Franzosen. Der ohnehin nicht mehr präsente Volkssturm wurde aufgelöst. Die Männer wurden in Reihe aufgestellt und zum Räumen der Panzersperren abkommandiert. Um die zumeist hölzernen Hindernisse kümmerten sich die Eroberer danach nicht mehr. Sie wurden unmittelbar nach der Räumung eine begehrte Materialquelle für Ausbesserungen oder zu Brennholz.

Noch bis nach der Jahrtausendwende war der Seelachbunker in der Zivilschutzbindung und mit 1300 Schutzplätzen ausgewiesen. Die Stadt Stuttgart hat die Räumlichkeiten überwiegend vermietet. Unter anderem dient der Bunker mehreren Bands als Übungsraum, für die die massiven Betonmauern eine ideale Schalldämmung bieten. Auf dem Dach sind inzwischen mehrere UMTS-Anlagen installiert, die der Stadt weitere Mieteinnahmen einbringen.

Da in den 60er und 70er Jahren die Wolfbuschsiedlung mit viergeschossigen Mehrfamilienhäusern aufgesiedelt wurde, ist der einstmals am Siedlungsrand relativ freistehende Bunker heute besser denn je ins Ortsbild integriert. Ein Wohnblock steht direkt neben dem Bunker, die Natursteinfassade und die umstehenden Bäume tun ein Übriges.