Scheinanlagen im Schwarzwald

Bereits im 1. Weltkrieg waren von den Kriegsparteien Scheinflugplätze angelegt worden, die mit Attrappen oder nicht mehr funktionstüchtigen Flug- und Fahrzeugen ausgestattet wurden, feindliche Luftangriffe auf sich ziehen und die echten Flugplätze so vor Angriffen bewahren sollten. Das Konzept fand auch im 2. Weltkrieg Anwendung.
Im Bereich der Luftverteidigungszone (LVZ) West wurde zumindest im Verantwortungsbereich des Luftgaukommandos (LG) VII zu Kriegsbeginn auch eine Variante dieses Konzepts umgesetzt, die inzwischen an drei Orten nachgewiesen werden konnte.

Scheinflugplätze in der LVZ West

Waren Scheinflugplätze üblicherweise feindseitig einem regulären Flugplatz vorgelagert, so dass die gegnerischen Flugzeuge zuerst auf den Scheinflugplatz stießen und im Idealfall diesen angriffen, so gab es im Schwarzwald Scheinflugplätze, die keinem Fliegerhorst zugeordnet waren, sondern sich in unmittelbarer Nähe einer schweren Flakstellung der LVZ West befanden. Aus dieser Kategorie konnten bislang folgende Scheinflugplätze ermittelt werden: Dornhan (Zwischen Zollstockstraße und Ellenbögle), Salzstetten, Egenhauser Kapf (ca. 2 km südöstlich von Altensteig) und Igelsloch. Es ist bislang nicht geklärt, ob dies die einzigen Scheinflugplätze dieser Art waren, hier dauern die Forschungen noch an.

Diese Scheinflugplätze waren bereits zu Kriegsbeginn angelegt worden. Durch ihre unmittelbare Nachbarschaft zu den Flakstellungen funktionierten sie als Lockvögel für von Westen einfliegende Flugzeuge. Sie sollten die Aufmerksamkeit der gegnerischen Piloten auf sich ziehen, sie zum Angriff verleiten und die Flugzeuge damit in den Wirkungsbereich der benachbarten Flakbatterien bringen. Andererseits machte die benachbarte Flak die Täuschung glaubwürdiger. Ihre Aktivität konnte im Idealfall auch verhindern, dass gegnerische Flieger den Scheinflugplatz genauer untersuchen. Durch Abwehrfeuer bedrängt, sollten sie zum raschen Angriff auf das vermeintlich lohnende Ziel verleitet werden.

Gemäß ihrer Standorte waren sie gemeinsam mit der Flak der LVZ West Teil eines nach Westen hin ausgerichteten Verteidigungssystems und wirkten somit bis zur Kapitulation Frankreichs am 25. Juni 1940 als ergänzende Maßnahme der LVZ West.

Zumindest der Scheinflugplatz bei Altensteig blieb auch nach der Kapitulation Frankreichs in Betrieb und fungierte auch als Nachtscheinanlage. Am 21.10.1940 registrierte das LG VII 6 Spreng- und Brandbomben, die auf den Scheinflughafen Altensteig gefallen waren. Die RAF hatte in dieser Nacht 11 Whitley-Bomber zu Störangriffen gegen  4 Städte geschickt, darunter auch Stuttgart. Die Stadt verzeichnete in dieser Nacht allerdings keinen Angriff. Die Bomben fielen im Umland und unter anderem auf die Scheinanlage.

Nachtscheinanlagen ab Frühsommer 1940

Ab Frühsommer 1940 errichtete das LG VII für zuvor definierte gefährdete Städte Nachtscheinanlagen, (Sieben für das Gebiet Stuttgart, Heilbronn, Karlsruhe, Bruchsal, je drei bei Friedrichshafen und Augsburg, eine bei Ulm, sechs für München), die teilweise eigene Flak-Batterien zugewiesen bekamen. Für die Schwarzwaldregion wurden in Zuständigkeit der Flakgruppe Oberndorf vier Nachtscheinanlagen errichtet. Nach bisherigen Erkenntnissen wurden zumindest teilweise erneut Standorte in der Nähe von Stellungen der LVZ ausgesucht.

Diese Nachtscheinanlagen sollten nun nicht mehr Flugplätze simulieren, sondern Ortschaften und Industriebetriebe, die als bevorzugte Ziele der britischen Luftwaffe angesehen wurden. An manchen Orten wurden Nacht-Scheinbahnhöfe errichtet, die den Bahnhof einer bestimmten Großstadt simulierten, also einen Teil einer bestimmten Stadt darstellten. Solche Scheinbahnhöfe gab es bei Bruchsal und bei Lauffen am Neckar (Anlage „Brasilien“).

Von den vier Nachtscheinanlagen der Flakgruppe Oberndorf waren mindestens zwei als „Scheinfabriken“ angelegt. Die Anlage „Habana“ bei Fluorn-Winzeln war eine Nacht-Scheinfabrik, die Angriffe auf die Mauser-Werke in Oberndorf auf sich ziehen sollte. Auch die 2 km westlich von Löffingen und  2,5 km nördlich von Göschweiler gelegene Scheinanlage „Madeira“ simulierte bei Nacht eine Munitionsfabrik. Bei Peterzell, 2 km südwestlich von Dornhan wurde die Anlage „San Franzisko“ eingerichtet und bei Gut Fischbach, 12 km nordwestlich von Schramberg und 6 km östlich von Wolfach lag außerdem die Scheinanlage „Cuba“.

Die Nachtscheinanlagen waren allerdings ganz erheblich abstrahiert, so dass nur sehr begrenzt auf Ähnlichkeit mit den zu schützenden Werken der Region Wert gelegt wurde. Schließlich sollten die Anlagen bei Tage für Aufklärungsflugzeuge „unsichtbar“ sein. In einer bei Nacht aus der Luft als weitgehend homogene dunkle Fläche wahrgenommenen Landschaft reichten bestimmte Lichterscheinungen und eine vermeintliche Ausdehnung des Ziels in der Fläche um Piloten und Navigatoren glauben zu lassen, sie hätten ein lohnendes Ziel unter sich. Wenn dann aus der Richtung des „Ziels“ die Flugabwehr aktiv wurde bestärkte dies die Annahme.

Das Dreieck Rottweil – Oberndorf – Schramberg

Die Verteilung dieser Anlagen in einem relativ kleinen Gebiet lässt darauf schließen, dass die Mauserwerke in Oberndorf, die Pulverfabrik in Rottweil und die Uhrenfabrik Junghans in Schramberg als „Schutzgebiet“ definiert wurden, für das eine Scheinanlagen-Gruppe bzw. ein Scheinanlagen-Gebiet eingerichtet wurde, bestehend aus den vier genannten Scheinanlagen und seitens der Flakgruppe mit Flugabwehr ergänzt. Von den drei Stellungen der Flakgruppe Oberndorf befand sich eine bei Hochmössingen und damit in unmittelbarer Nähe der Anlage „Habana“.

Die Mauserwerke in Oberndorf wurden ab April 1940 zusätzlich durch eine Ballonsperre gegen Tiefflieger geschützt. Anfang September 1940 wurde die Nebelanlage installiert und noch im gleichen Monat eine Seilsperre gegen Tiefflieger errichtet. Da die Fabrik im Tal lag, konnten die Seile quer durch das Tal gespannt werden, ohne dass sie von Ballonen getragen werden mussten. Die Sperrballone wurden nach Fertigstellung der Seilsperre wieder abgezogen.

In der Nacht vom 02. Auf den 03.09.1940 erfolgte ein Angriff im Raum Oberndorf mit mehreren Flugzeugen, bei dem die Mauser-Werke auf 4 km vernebelt wurden. Das Luftgaukommando VII vermerkte am 09.09.: „Sämtliche Abwürfe erfolgten daraufhin auf die westlich davon gelegenen Scheinanlagen Cuba und Habana (Schramberg – Oberndorf).“

Die Kombination der Vernebelung eines gefährdeten Betriebs einerseits und der Errichtung einer Attrappe für diesen Betrieb an einer anderen Stelle, die dann die Angriffe auf sich ziehen sollte, wurde auch am 28.01.1941 anlässlich einer Vorführung der vom Flughafenkommando Böblingen entwickelten Vernebelungsanlagen bei Krauss-Maffei in Allach besprochen. Die Luftwaffe wies explizit darauf hin, dass in Oberndorf die Mauser-Werke schon erfolgreich vernebelt und die so verborgene Fabrik an anderer Stelle durch eine Scheinanlage dargestellt wird.

Bei Mötzingen wurde ein Scheinflugplatz zum Flughafen Böblingen errichtet. Er lag aber wesentlich näher am Flughafen Eutingen als an Böblingen. Der Scheinflugplatz der ab 1942 den Decknamen „Margarete“ trug, zog mehrmals Angriffe auf sich, insbesondere bei den erfolglosen Luftangriffen auf Stuttgart im Mai 1942. Die RAF hatte in den Nächten vom 04./05., 05./06. Und 06./07. Mai 1942 Angriffe auf Stuttgart geflogen, die allesamt größtenteils fehlschlugen. Die Bomben fielen weit verstreut zwischen Karlsruhe, dem Schwarzwald, dem Heilbronner Raum und dem Kreis Böblingen. Sie fielen auch auf „Margarete“. In der Nacht vom 06. auf den 07. Mai traf es jedoch nicht nur den Scheinflughafen, sondern auch Mötzingen. 14 Sprengbomben und ca. 80 Phosphorbrandbomben zerstörten 12 Häuser komplett und 10 weitere wurden beschädigt. Abweichend von den Angaben des Luftgaukommandos VII führt das Archiv in Mötzingen den Angriff unter dem Datum 07./08.05.1942. In der Nacht vom 07./08.05.1942 wurde Süddeutschland aber nicht angegriffen.

Das Luftgaukommando VII meldete am 07.05.1942 auch einen zerstörten Munitionsbunker der Flakmuni Unterjettingen, in nördlicher Nachbarschaft zum Scheinflugplatz. Dieser war in der Nacht ebenfalls von Brandbomben getroffen worden. In dem Bunker explodierten 3.388 Schuß Munition, auch am 07. Mai tagsüber bestand noch Waldbrandgefahr.

Vom technischen Fortschritt überholt

Die Scheinanlagen „Cuba“, „Habana“, San Franzisko“ und „Madeira“ wurden bis Mitte / Herbst 1943 betrieben. Ab 1943 verloren sie massiv an Bedeutung, da die verbesserte Navigationstechnik die Flugzeuge auch bei fehlender Sicht sehr präzise zum Ziel führen konnte. Auch die Abweichungen in der Distanz zum Ziel durch vorgelagerte Scheinanlagen waren durch die neue Technik erkennbar. Im Sommer / Herbst 1943 wurden diese Scheinanlagen folgerichtig abgebaut.

Als Ersatz entstand eine neue Generation von Scheinanlagen, die in unmittelbarer Nähe der Großstädte und großer Industrieanlagen die Markierungen der Pfadfinder-Flugzeuge imitierten, und so den Bombenwurf kurz vor dem Ziel provozieren sollten. So ersetzte die Scheinanlage bei Stuttgart-Weilimdorf die Anlage bei Lauffen am Neckar. Im Dreieck Rottweil – Oberndorf – Schramberg sind keine Hinwiese auf solche Anlagen bekannt. Wahrscheinlich wurden keine errichtet, da diese Orte im Verlauf des Krieges deutlich weniger angegriffen wurden als ursprünglich befürchtet.

Der Scheinflugplatz bei Mötzingen wurde 1944 in einen Feldflugplatz umgewandelt und von der Nachtjagd der umliegenden Flughäfen als Ausweichlandeplatz benutzt.