Stollen bei der Kammgarnspinnerei

Um die Fertigungskapazitäten für Panzer im Werk Marienfelde zu erhöhen, beschloss Daimler-Benz im Sommer 1942 die Fertigung von Schnellbootmotoren nach Untertürkheim zu verlagern. Dadurch wäre Untertürkheim allerdings der einzige Fertigungsstandort für Schnellbootmotoren gewesen, was den Widerstand der Marine hervorrief.

Der Interessenkonflikt wurden im Januar 1943 durch einen Führerbefehl gelöst, nachdem in Marienfelde die Kapazität für die Panzerproduktion zu erhöhen war. Um das Ausfallrisiko der Schnellbootmotoren-Produktion durch einen Luftangriff auf Untertürkheim zu verringern, wurde diese dann auf mehrere Verlagerungsbetriebe verteilt, die ab Spätsommer 1943 eingerichtet wurden. Zu diesen Betrieben gehörte auch die Kammgarnspinnerei in Bietigheim. Hier wurde die Produktion im Dezember 1943 mit 180 Arbeitskräften aufgenommen.

Im Frühjahr 1944 begann Daimler-Benz mit dem Bau eines Stollens für die dortige Belegschaft mit einem Fassungsvermögen von 600 Personen, etwa 200 m vom Werk entfernt. Der Vortrieb in den Hang erfolgte von der Herman-Vischer-Straße aus. Beim Bau des Stollens wurden ausschließlich Zwangsarbeiter eingesetzt. Anders als bei den anderen Stollen in Bietigheim und Bissingen handelte es sich hier um einen reinen Erdstollen. Ende August 1944 betrug der Vortrieb bereits 48 m, ohne dass die Arbeiter auf Fels gestoßen waren.

Da der Stollen somit große Mengen an Holz für Schalung und Innenausbau benötigte, das schwer zu beschaffen war, setzte Daimer-Benz auch Betonrahmen ein. Das Abraummaterial wurde teilweise zur Aufplanierung der Herman-Vischer-Straße verwendet.

Die Anlage hatte drei Zugangsstollen und zwei ca. 140 m lange Quergänge, die mit insgesamt sechs Verbindungsgänge verbunden waren. Zwei Zugangsstollen waren 87,5 m und der mittlere 75 m lang.

Im September 1944 erklärte Daimler-Benz schriftlich gegenüber der Stadt Bietigheim, dass der Stollen nicht nur für die Kammgarnspinnerei vorgesehen sei, sondern auch für die im Barackenlager „Altwasser“ untergebrachten „Ostarbeiter“, also Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion. Zum Jahresende 1944 war der Stollen nutzbar. Daimler-Benz produzierte bis zum April 1945 in der Kammgarnspinnerei. Nach dem Krieg wurde das Stollenholz von der Bevölkerung ausgebaut und als Bau- und Brennholz verwendet. Die dadurch nicht mehr abgestützten Teile des Stollens stürzten im Laufe der Zeit ein. Die Einbrüche führten in den darüber liegenden Grundstücken teilweise zu Senkungen im Boden. Von der Anlage ist heute nichts mehr erhalten.