Bietigheim Viadukt

 

Am 10. September 1944 gab es den ersten Luftangriff auf Bietigheim. Etwa 30 amerikanische Bomber flogen mehrfach die Munitionsniederlage im Brandholz an und warfen 10 schwere Bomben, die am Munitionsdepot jedoch keine nennenswerten Schäden verursachten. Am 09. November 1944 warfen Jagdbomber in Bahnhofsnähe 14 Bomben. Ein ausländischer Arbeiter bei SWF wurde getötet und es gab Gebäudeschäden. Auch am 04. Dezember griffen Tiefflieger den Bahnhof an und warfen 14 Bomben, ohne dass Menschen zu Schaden kamen.

Am 02.02.1945 wurde erstmals der Viadukt angegriffen. Bei dem Angriff um 9 Uhr früh wurden Gebäude in der Bahnhofstraße getroffen, wovon zwei völlig zerstört wurden. Ein Fremdarbeiter kam ums Leben.

Nachdem in den folgenden Wochen vor allem Züge angegriffen worden waren, erfolgte am 23. März ein gezielter Angriff mit 2 Squadrons (= 2 x 9) Marauder-Bombern gegen den Viadukt. Die Bomber kamen von Süden, der Enz entlang. Da sich an den beiden Viadukt-Enden leichte Flak befand, warfen sie ihre ca. 40 Bomben aus 3.500 m Höhe. Zwei Pfeiler des östlichen Teils des Viadukts wurden getroffen und schwer beschädigt. Die meisten Bomben trafen umliegende Wohngebäude und das Freibad.

Da der Viadukt aber den Treffern standgehalten hatte, flogen die Amerikaner am 24. März erneut einen Angriff gegen den Viadukt. Es war die gleiche Einheit, die wieder 2 Squadrons einsetzte und wieder den Ostteil des Viadukts traf. Erneut wurden aber vor allem Wohngebäude getroffen, auch die Forsthausschule wurde zerstört. Der Viadukt überstand auch diese Treffer. Am folgenden Tag erlebte Bietigheim drei Tieffliegerangriffe, die schwere Schäden an den Gleisanlagen verursachten.

Der letzte Luftangriff auf Bietigheim wurde am 06. April 1945 geflogen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Deutschen den Viadukt wieder soweit ausgebessert, dass er eingleisig befahrbar war.

Am 08. April 1945 sprengten deutsche Pioniere alle Enzbrücken in den Städten Bietigheim und Bissingen und auch 5 Bögen vom Westteil des Viadukts, um den herannahenden Franzosen keinen intakten Enzübergang in die Hände fallen zu lassen. Diese erreichten Bietigheim am Abend des 08. April und besetzten die Weststadt. Da in der Oststadt noch deutsche Truppen hinhaltenden Widerstand leisteten, war die Enz im Stadtgebiet bis zum Abzug der Deutschen am 21. April die Frontlinie.

Am 08.07.1945 ging die Besatzungsmacht in Bietigheim auf die Amerikaner über. Diese leiteten verstärkt Maßnahmen zur Instandsetzung der zerstörten Infrastruktur ein. Nach behelfsmäßigen Reparaturen am Viadukt, die eine sehr eingeschränkte Nutzung erlaubten, wurde Anfang Dezember der Bauauftrag für eine 317 m lange eingleisige Behelfsbrücke erteilt. Sie wurde 15 m nördlich neben dem Viadukt von den Firmen Stahlbau Rheinhausen, Wolfer & Goebel und Wayss & Freytag aus Stahl errichtet.

Nicht nur die Namen der beauftragten Firmen zeigen eine der Not der Zeit entsprechende Kontinuität über das Kriegsende hinweg, sondern auch das Bauwerk selbst.

Das Gerüst wurde aus Teilen für Roth-Waagner Kriegsbrücken gefertigt. Dieses auf Modulbauweise basierende Brückenbaukonzept wurde vor dem 1. Weltkrieg von Major Roth zusammen mit der österreichischen Stahlbaufirma Waagner-Biro entwickelt und kam vor allem als Eisenbahnbehelfsbrücke in beiden Weltkriegen an zahlreichen Stellen zum Einsatz. Nach dem 2. Weltkrieg wurden Roth-Waagner Brücken oft als schnell zu errichtende Provisorien eingesetzt, um zerstörte Brücken zu ersetzen. Manche dieser Provisorien blieben Jahrzehnte bestehen. Die Roth-Waagner Brücke über den Main bei Volkach wurde 2009 ersetzt. In Österreich wurde im Sommer 2012 bei Traisen die letzte Roth-Waagner Brücke abgebaut.

Die Bauarbeiten für die Behelfsbrücke in Bietigheim begannen im März 1946. Für die Betonpfeiler wurden 3.700 m3 Beton verarbeitet und für die Zufahrtsrampen 20.000 m3 Erdreich bewegt. Am 21. November 1946 konnte das Bauwerk in Betrieb genommen werden.

Der Wiederaufbau des gesprengten Teils des Viadukts zog sich hin. Die ersten Nachkriegsjahre waren von Materialmangel geprägt. Am 28. August 1949 fuhr sowohl der letzte Zug über die Behelfsbrücke als auch der erste Zug über den wiederaufgebauten Viadukt. Die Stahlbrücke blieb allerdings noch mehrere Jahre stehen, bevor sie komplett abgebrochen wurde. Heute erinnern an sie nur das Fundament auf der Ostseite der Enz und ein Pfeiler auf der Westseite, in dem auch eine Tafel eingelassen ist, die das Relikt kurz beschreibt.