Althengstett, Neuhengstett und Ottenbronn 1933-1949

NS-Diktatur, Krieg und demokratischer Neubeginn, Hrsg. Gemeinde Althengstett, ISBN 978-3-86595-639-2

althengstett-1933-1949

2013 entstand in Althengstett die Initiative, die NS-Zeit der Gemeinde systematisch aufzuarbeiten. Bürgermeister Dr. Clemens Götz rief einen bürgerschaftlichen Arbeitskreis ins Leben, der zusammen mit dem Historiker Christoph Bittel die Geschichte der drei Teilgemeinden Althengstett, Neuhengstett und Ottenbronn von 1933-1949 aufarbeitete.

Am 01.Mai 1939 begannen in Althengstett die Bauarbeiten der Luftwaffe für Einrichtungen der Luftverteidigungszone (LVZ) West. Es handelte sich um ein Beständelager, das mitten im Ort errichtet wurde, sowie eine Munitionsniederlage im „Unteren Wald“, bestehend aus 12 Lagergebäuden und einem Wachhaus.

Das ehemalige Beständelager existiert bis heute, vor Ort üblicherweise als „Flakhaus“ bezeichnet. Von der Munitionsniederlage sind noch drei Lagergebäude und das Wachhaus erhalten, sowie die Wegführung mit einer Ringstraße und einer Stichstraße in der Mitte.
Während des 2. Weltkriegs waren über 200 Zwangsarbeiter in der dörflichen Gemeinde die fast alle namentlich im Buch aufgelistet sind. Die meisten davon waren bei der Firma Perrot-Regnerbau, beschäftigt, die Schnellkupplungsrohre für die Luftwaffe produzierte. Aber auch in kleineren Betrieben und in der Landwirtschaft kamen Zwangsarbeiter zum Einsatz.

Ab 1944 rückte Althengstett auch in den Fokus des Rüstungsministeriums unter Albert Speer. Neben letztlich nicht umgesetzten Überlegungen zur Nutzung des Forsttunnels für die unterirdische Produktion arbeitete Daimler-Benz sehr konkret an einer Produktionsverlagerung nach Althengstett, die jedoch nicht mehr anlief.

Es sind aber nicht diese plakativen Themen, die dieses Buch besonders machen. Es ist die detaillierte Gesamtdarstellung aller Aspekte der NS-Zeit, der alltäglichen Erscheinungen der Diktatur seit 31. Januar 1933 und verstärkt seit den Reichstagswahlen am 05. März 1933, der Rassengesetze, des Eingriffs des Staats in das Leben jedes Einzelnen, des Krieges, dargestellt auf der Ebene der drei Teilgemeinden, die Christoph Bittels Arbeit hervorheben.

Mindestens zwei Menschen aus Althengstett und Ottenbronn wurden im Rahmen der „Euthanasie“ ermordet. Am 03. August 1942 wurde in Althengstett der polnische Zwangsarbeiter Marian Tomczak wegen „Rassenschande“ hingerichtet. Seine einheimische Geliebte wurde ins KZ Ravensbrück verbracht. Sie konnte das gemeinsame Kind jedoch zur Welt bringen und behalten. Beide überlebten den Krieg. Althengstett hat dem Paar im September 2015 einen Gedenkstein gesetzt. Viele Gemeinden, in denen Ähnliches passierte, schweigen über solche Fälle bis heute.

Auch der Entschluss, alle beteiligten Personen im Buch mit vollem Namen zu nennen, ist nicht unbedingt üblich und zeugt von dem Mut, mit dem sich der Arbeitskreis, aber auch die Gemeinde der Geschichte gestellt hat. Eine Vorgehensweise, vor der etliche ländliche Gemeinden bis heute zurückschrecken, da die Familien der damaligen Akteure üblicherweise noch heute im Ort leben.

Zu dieser Problematik findet Bürgermeister Dr. Clemens Götz im Geleitwort eine treffende Zusammenfassung dessen, was sich bei der Beschäftigung mit diesem Teil der Geschichte immer wieder offenbart: „Mut und Feigheit, menschliche Größe und Schwäche, Großherzigkeit und Eigensucht zeigten sich in diesen Jahren besonders deutlich. Oft genug fand sich alles in derselben Person.“

Die Fülle und Vollständigkeit der geschilderten Ereignisse zeigen nicht nur, wie umfangreich das NS-Regime das Leben einer letztlich weder politisch, wirtschaftlich noch militärisch bedeutenden Gemeinde prägte. Sie können auch als Blaupause dafür gelesen werden, was andernorts genauso passiert sein dürfte, und welche Auswirkungen das Regime und die von ihm verursachten Ereignisse auf größere Orte und Städte gehabt haben.

Christoph Bittel, der u.a. bereits zwei Bücher über die Geschichte Calws veröffentlichte, kommt das Verdienst zu, die Fülle der Quellen und Informationen alle sauber gegeneinander abgeglichen zu haben und die Ergebnisse in einer sachlichen, grundsätzlich neutralen, aber sehr flüssigen Sprache zu präsentieren.

Das Buch ist in Althengstett in Prägers Buchlädle und im Rathaus erhältlich ist.