Scheinanlagen für Straßburg und Kehl

Nach der Kapitulation Frankreichs am 25. Juni 1940 begann sehr schnell die politisch-organisatorische Wiedereingliederung des Elsass in das Deutsche Reich. Straßburg wurde als „badische Metropole“ begriffen, Landkreise und Regionen rechts und links des Rheins teilweise neu organisiert.

Dem Luftgaukommando VII fiel nun neben den städtischen Regionen München und Augsburg, sowie den Gebieten Württemberg-Hohenzollerns und Badens auch die Zuständigkeit für die Metropolregion Straßburg zu.

Am 01. und am 16. Dezember 1940 war Straßburg von britischen Bomben getroffen worden. Der erste Angriff hatte Köln gegolten, das nicht von allen Bombern gefunden wurde. Die Schäden in Straßburg waren gering. 15 Tage später fielen fünf Bomben auf den Stadtteil Cronenbourg und töteten das Ehepaar Zimmer. Es waren die ersten Luftkriegstoten in der Stadt. Sie waren freilich Zufallsopfer. Der britische Angriff auf Mannheim hatte sich bei schlechtem Wetter verzettelt, einzelne Bomber warfen ihre Last auf Basel, Heilbronn, Speyer oder eben Straßburg. Die beiden nah beieinander liegenden Angriffe mögen aber auf deutscher Seite eine Rolle gespielt haben bei der Einschätzung der Gefährdung der Stadt durch britische Luftangriffe.

Am 17. Januar 1941 erging der Befehl zum Bau einer Nacht-Scheinanlage zum Schutz der Stadt Straßburg ca. 4 km südlich von Bischweiler auf dünn besiedeltem, landwirtschaftlich genutztem Gebiet. Solche Anlagen bestanden üblicherweise aus einer Reihe von „Täuschungselementen“, die im Wesentlichen schlecht verdunkelte Lichtquellen imitieren sollten. Hinzu kamen mitunter Attrappenbauten aus Holz und Leinwand, Backsteinmauern, um „Brandschatten“ zu simulieren, also den Widerschein eines Feuers an einer (Haus-)Mauer aus Ziegeln, Feuerstellen, die entstehende Brände imitieren sollten, und wo ein Bahnhof vorgetäuscht werden sollte, eventuell sogar vorgetäuschte Gleisanlagen. Die Scheinanlage erhielt den Decknamen „Montevideo“.

Montevideo A und B

Am 26. Februar 1941 erging die Weisung zur Erweiterung der Anlage „Montevideo“ um Darstellungen der Straßburger und Kehler Rheinhäfen beidseitig der Ill-Mündung in den Rhein. Die Ill mündet heute nördlich von Freistett in den Rhein. Während des 2. Weltkriegs lag diese Mündung aber noch 4 km südlich, bei La Wanzenau, gegenüber von Diersheim. Die beiden Anlagen „Montevideo A“ und „Montevideo B“ lagen damit ca. 8 km Luftlinie auseinander. Diese Entfernung einsprach nicht der Entfernung des Straßburger Hauptbahnhofs zum Rheinhafen, aber die Scheinanlagen hatten somit die Möglichkeit angreifende Bomber entweder zum Abwurf auf weitgehend unbesiedeltes Gebiet nördlich von Straßburg zu lenken, oder auf weitgehend unbesiedeltes Gebiet am Rheinufer.

Am 24. März 1941 war die Warnzentrale Straßburg in Betrieb genommen worden. Die Warnzentrale Wolfach zwischen Haslach im Kinzigtal und Schiltach wurde dafür aufgelöst.

Die Anlage „Montevideo B“ war gegen Ende Juni 1941 einsatzbereit.

Montevideo C

Parallel zum Aufbau der Anlage „Montevideo B“ erfolgte 1,5 km westlich von Freistett noch der Bau der Anlage „Montevideo C“, der etwas später begonnen wurde. Im dortigen von Nebenarmen des Rhein und Auenland geprägten Gelände wurde eine zweite Imitation des Kehler Rheinhafens geschaffen.

So wie bei Lauffen am Neckar ein dem Cannstatter Neckarknie ähnelnder Flusslauf in die die Täuschung einbezogen wurde, und in Karlsruhe der Baggersee bei Weingarten als Standort einer Attrappe für den Rheinhafen diente, wurden für die Hafensimulationen „Montevideo B“ und „Montevideo C“ ebenfalls die landschaftlichen Gegebenheiten bei der Standortwahl und Gestaltung der Täuschungen berücksichtigt.

Bereits vor dem Krieg war in Diskussionen um die Wirksamkeit solcher Anlagen und Möglichkeiten zum Schutz von Städten vor Luftangriffen die Erkenntnis gereift, dass Flüsse nicht komplett „unsichtbar“ gemacht werden könnten. Dennoch wurden z.T. mit erheblichem Aufwand Seen abgedeckt, aber auch Teile von Flüssen und Kanälen, um als charakteristisch betrachtete Landschaftspunkte zu verbergen. Der Nachbau solcher Landmarken entweder als „Ersatz“ einer abgedeckten, oder einfach um sie zu verdoppeln, war eine weitere Möglichkeit den Gegner zu verwirren. „Montevideo C“ war im Juli 1941 einsatzbereit.

Somit bestand der Komplex „Montevideo“ aus drei unabhängig voneinander bestehenden Nacht-Scheinanlagen, die Teile von Straßburg sowie den Rheinhafen Kehl imitieren sollten. Die Kombination mehrerer Scheinanlagen war vergleichbar in Karlsruhe umgesetzt worden. Dort hatte jede Anlage einen eigenen Decknamen.

Bei Berlin war unter dem Decknamen „V500“ ein Konglomerat von Scheinanlagen errichtet worden, wobei jede Anlage einen bestimmten, als tendenziell stark durch Luftangriffe gefährdet angenommenen Teil Berlins repräsentierte. Das Ziel war es dabei nicht, diese Städte komplett nachzuempfinden, sondern durch das Nachempfinden bestimmter Teile die Bombenwürfe auf das wenig besiedelte Umland zu lenken.

Auszug aus einer Baedecker-Karte von 1942. Die roten Markierungen mit dem Buchstaben A, B und C zeigen die Lage der Scheinanlagen Montevideo A, B und C.

Schwere Flak

Der Flakschutz Straßburgs oblag der Flakgruppe Karlsruhe. Am 05. Juli 1941 begannen Planungen zur Verteilung von 20 neu aufzustellenden Sperrfeuerbatterien innerhalb des Luftgaukommandos VII. Die Sperrfeuerbatterien sollten vor allem mit 8,8 cm Flak 18 ausgerüstet werden, also den frühen Modellen der Kanone, die bei Kriegsbeginn im Vergleich zur 8,8 cm Flak 36 als bereits weitgehend veraltet galt.

Zunächst waren zwei Batterien für „Montevideo“ eingeplant. Am 24. Juli plante das Luftgaukommando die Sperrfeuerbatterien 314 – 316 nach Straßburg zu entsenden. Am folgenden Tag wurde die Verteilung geändert, und der Flakgruppe Stuttgart die Sperrfeuerbatterien 320 – 325 zugeordnet. Auch diese Zuordnung wurde jedoch wieder geändert. Am 23. August 1941 erfolgte die verbindliche Zuteilung der Sperrfeuerbatterien 312 – 314 für Straßburg.

Wo genau diese Batterien in Stellung gingen, harrt noch der Untersuchung. Ob sie ganz oder teilweise im Bereich der „Montevideo“-Scheinanlagen stationiert wurden, ist noch in Klärung. Eine Zuteilung von drei Sperrfeuerbatterien für drei Scheinanlagen erscheint zumindest plausibel.

Nördlich von Kehl war bei Auenheim eine Stellung der Schweren Flak errichtet worden, auf dem Gelände des heutigen Sportplatzes hinter dem Schwimmbad. Zumindest zweitweise war auch eine Schwere Flakstellung südlich Auenheims bei Sundheim belegt, südlich der Rustfeldstraße beim heutigen Reit- und Fahrverein. Im Gebiet von Straßburg lagen fünf Schwere Flakbatterien: Robertsau, Musau, Canardiére (Entenfang), Ostwald und Koenigshofen.

Auf „Montevideo A, B und C“ fielen laut Kriegstagebuch des Luftgaukommandos VII Bomben am 25.08.1941 (Angriff auf Karlsruhe und Mannheim) und 16.09.1941 (Angriff auf Karlsruhe).

Auch am 04.05.1942 wurden die Scheinanlagen des „Montevideo“´-Komplexes angegriffen. Der Angriff hatte ursprünglich Stuttgart zum Ziel, das infolge schlechten Wetters nur von einem Teil der Bomber gefunden wurde. Die Mehrheit der Flugzeuge warf ihre Bomben auf Ausweich- und Zufallsziele.

Die eher dürftige Bilanz der drei „Montevideo“-Anlagen war vor allem der Tatsache geschuldet, dass Straßburg bis 1943 kein Ziel der Alliierten Luftwaffe war. So waren die Scheinanlagen bei Straßburg weitgehend bedeutungslos. Bis zum September 1943 blieben die Zimmers die einzigen Todesopfer von Luftangriffen in der Elsässischen Metropole. Am 06. September 1943 erfolgte ein Tagangriff der USAAF mit 27 B-17 Bombern. 195 Menschen starben, 627 wurden verletzt. Auch die folgenden Angriffe auf Straßburg, incl. dem schwersten mit 567 Toten am 25. September 1944, waren Tagangriffe der USAAF. Die Nachtscheinanlagen hätten dagegen nichts genützt.