Luftangriffe auf Pforzheim 1944-45

Die großflächige Zerstörung Pforzheims am 23. Februar 1945 wird bis heute vorwiegend mit einem Dokument des Britischen Bomber Command vom 28. Juni 1944 erklärt. Bei dem Angriff wurden 98% des Stadtgebiets zerstört. Bezogen auf die Einwohnerzahl vor Kriegsbeginn forderte dieser Angriff die höchste Anzahl an Opfern im Bombenkrieg gegen deutsche Städte.

Laut Volkszählung vom 17. Mai 1939 hatte die Stadt 78.743 Einwohner. Die Zahl der Toten vom 23. Februar 1945 wird mit 17.600 angegeben, also über 22% der Einwohner von 1939. Die Zahl enthält allerdings auch eine gewisse Anzahl von Auswärtigen, die sich in dieser Nacht in Pforzheim aufhielten, z.B. Menschen aus Heilbronn oder Bietigheim. Durch die immer schlechtere Versorgungslage und die immer eingeschränkter zur Verfügung stehenden Bahnverbindungen war es beispielsweise durchaus normal geworden, dass Landwirte mit dem Fuhrwerk in eine Stadt kamen, dort ihre Produkte verkauften, und die Rückreise am nächsten Morgen antraten.

Die Einordnung als Rüstungsstandort

Pforzheim war „Goldstadt“, ein Zentrum der Schmuck- und Uhrenindustrie, die in vielen kleinen Betrieben organisiert war, von denen viele aus Uhrmacherbetrieben im Familienbesitz entstanden waren. Anders als in Schramberg, wo die Fertigungsstätten von Junghans das Ortsbild mitbestimmten, gab es in Pforzheim kaum größere Fabriken, nur jeweils eine außerhalb des Zentrums im Norden und im Süden.

Die deutsche Luftwaffe stufte Pforzheim nur als Luftschutzort II. Ordnung ein, wodurch die Stadt nicht in die umfangreichen Programme zum Bau von massiven Luftschutzbunkern einbezogen war, die das Reich in den Luftschutzorten I. Ordnung wie Stuttgart, Mannheim, oder Karlsruhe durchführte.

1944 hatte die Stadt mit dem Bau von Luftschutzstollen begonnen, von denen im Februar 1945 mehrere noch im Bau waren.

Außerdem verfügte die Stadt über 64 öffentliche Luftschutzräume, die vor allem in den Gewölbekeller größerer Gebäude geschaffen worden waren, wie im Keller des Rathauses, der Barfüßerkirche, der Schwarzwaldschule oder beim „Steckeleskayser“.

Die britische Einschätzung zu Pforzheim, drei Wochen nach dem Beginn der Landung in der Normandie verfasst, war zu diesem Zeitpunkt sicher richtig: „one of the centres of the German jewellery and watch-making trades and is therefore likely to have become of considerable importance in the production of precision instruments“. Im August 1944 konkretisierte die RAF: „almost every house in this city is a small workshop“. Laut Einsatzbefehl vom 23. Februar 1945 war das Angriffsziel „to destroy built up area and associated industries and rail facilities“. Die meisten deutschsprachigen Quellen begnügen sich damit, diese Zitate aneinander zu reihen und damit eine Logik der Zerstörung und eine Kausalität zu schaffen, die einen augenscheinlich sinnlosen und in seiner brutalen Wucht nicht fassbaren Angriff auf eine zu diesem Zeitpunkt unbedeutende Kleinstadt erklären soll.

Area Bombing

RAF Bomber Command-Chef Arthur Harris hatte am 29. März 1942 im Rahmen der Area Bombing Directive eine neue Strategie erproben lassen. Nachdem die Luftangriffe auf deutsche Städte in den Jahren 1940 und 1941 kaum die erwartete Wirkung gezeigt hatten, sollten die Angriffe nicht mehr punktuell auf Industriegebiete und Verkehrsknotenpunkte erfolgen, sondern in der Fläche (Area). Durch die flächige Zerstörung einer Stadt sollte ihre Industrie und Infrastruktur quasi mit zerstört werden.

Damit das gelingt, wurde ein Angriffskonzept entwickelt, das möglichst große Brände verursacht. Es wurde an den von Fachwerk geprägten Hansestädten Lübeck (28./29.03.1942) und Rostock (23. und 26.04.1942) erstmals im Einsatz erprobt. Harris kommentierte den Angriff auf Lübeck mit den Worten: „es erschien mir besser, eine Industriestadt mit mäßiger Bedeutung zu zerstören, als beim Versuch, eine große Industriestadt zu treffen, zu scheitern.“

Bis zur deutschen Kapitulation wich Harris von dieser Strategie nicht mehr ab. Es liegt also nahe, die Zerstörung Pforzheims als Folge einer Kontinuität des britischen Handelns zu sehen. Zumal beim Bomber Command der RAF ab Ende 1944 Überkapazitäten entstanden. Die britische Kriegsproduktion lief noch immer auf Hochtouren, die Zahl der schweren Bomber stieg weiter an, die Verluste bei Einsätzen sanken durch die schwächer werdende deutsche Jagdwaffe und auch den Nachschubmangel der Flak-Verbände. Die RAF hatte Bomberflotten aufgebaut, die auch eingesetzt werden sollten.

Gleichzeitig nahm die Zahl noch unzerstörter deutscher Städte ab. Man könnte also unterstellen, dass Pforzheim u.a. auch deshalb zerstört wurde, weil die Briten die Möglichkeit dazu hatten, und sie die Fähigkeiten ihrer Bomber einmal mehr beweisen wollten.

Die Verbände des Bomber Command bestanden allerdings vor allem aus so genannten „strategischen“ Bombern. Man hatte jahrelang überwiegend große Langstreckenbomber beschafft, die für genau diese eine Strategie, das Area Bombing, ausgelegt waren.

Die Folgen dieser einseitigen Ausrichtung bekamen am 16. November 1944 Düren, Heinsberg und Jülich zu spüren. Um noch vor dem Jahresende die Rur und den Rhein überqueren und auf den dortigen Ostufern erste Brückenköpfe bilden zu können, hatte US-General Omar Bradley die RAF gebeten, die drei deutschen Städte anzugreifen, um die deutschen Linien zu schwächen. Laut Chronik der RAF sollten diese Angriffe die Verbindungen hinter den deutschen Linien kappen. Ausnahmsweise wurde ein Tagangriff angesetzt, an dem 1188 Bomber teilnahmen. Düren wurde zu 99% zerstört, Jülich zu 97% und Heinsberg zu 95%. Auf die deutschen Verteidigungslinien mehrere Kilometer westlich der zerstörten Städte wirkten sich die Angriffe nicht aus, der Nutzen für Bradleys Offensive war praktisch null.  

Angriffsziel Bahnhof

Dokumente der National Archives and Records Administration (NARA)  zeigen auch zu Pforzheim ein differenziertes Bild. Am 22. Februar 1944 hatte die USAAF mit 101 Bombern Pforzheim angegriffen. Die Bombenwürfe gingen sehr verstreut nieder in einem Areal 2 Meilen westlich der Stadt über vor allem ihre südlichen Wohngebiete bis 3 Meilen südöstlich Pforzheims. Am 01. April 1944 starben bei einem weiteren Angriff der USAAF 95 Menschen in der Stadt.

Am 28. Juni 1944, also dem Tag, an dem die RAF Pforzheim eine Bedeutung für die Rüstungsindustrie bescheinigte, gab die USAAF ein Target Information Sheet aus, das mit dem Satz begann: „The TARGET is the RAILWAY TRAFFIC CENTRE at PFORZHEIM“ (Hervorhebungen im Original). Im weiteren Verlauf des Sheets findet sich die Beschreibung: „The target […] which is long and narrow […] is 3.000 yards long and only 300 yards across at its widest point.” Dies beschreibt exakt die Gleisanlagen im Stadtgebiet.

Dem Einsatzbefehl war eine Luftaufnahme beigefügt, in der das Ziel, die Bahnanlagen, umrandet war. Zu diesem Zeitpunkt versuchte die USAAF also durch gezielte Angriffe die Bahn-Infrastruktur inmitten der Stadt zu zerstören. Der Angriff zeitigte aber nicht die erhoffte Wirkung. Luftaufnahmen nach dem Angriff zeigen die Bahnhofsgegend und ihre Gleisanlagen intakt.

Ein erneuter Versuch der USAAF, die Bahnanlagen in Pforzheim zu zerstören, erfolgte am 24. Dezember 1944. Unter dem Eindruck der Ardennenoffensive gerieten die deutschen Bahnhöfe und ihre weitverzweigten Gleisanlagen stärker in den Fokus. Noch im November hatte Pforzheim auf einer Zielliste der Alliierten die Priorität 5 gehabt.

Auch der Angriff an Heiligabend verfehlte die Bahnanlagen weitgehend. Der Bericht der Luftaufklärung vom 03. Januar 1945 beschreibt etliche Zerstörungen in den Wohn-und Geschäftsvierteln nördlich und südlich des Bahnhofs, der als „Target Area“ bezeichnet wird. Zu den Bahnanlagen schreibt der Bericht:

1. Facilities 5% unserviceable
Passenger station – large hole in roof
2. Marshalling yard sidings
No damage visible
3. Locomotive and rolling stock
No damage visible
4. Through running lines
No damage visible
5. Repairs
No repairs seen.

Den nächsten Anlauf, die Bahnanlagen Pforzheims zu zerstören, unternahm die USAAF am 21. Januar 1945 mit 45 Bombern. Im Bericht der Luftaufklärung vom 10. Februar sind starke Schäden an den Bahngebäuden beschrieben. Die Gleise seien teils getroffen, aber inzwischen wieder repariert worden und schienen nutzbar. Im Süden war die Firma von Eugen Fessler (ein Prio 3 Ziel) weitgehend zerstört worden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die US-Luftwaffe auf die Bahneinrichtungen konzentriert, ohne deren Funktionsfähigkeit jedoch nachhaltig zerstören zu können. Diese Operationen werfen auch ein Licht auf die Fähigkeit der Alliierten bei Tag „Präzisionsangriffe“ fliegen zu können. In vielen Fällen waren gezielte Angriffe auf Ziele in der Größe einzelner Fabriken oder Bahnhöfe nur mit tief fliegenden Jagdbombern möglich, nicht jedoch mit den großen Bombern, die für Flächenangriffe gebaut worden waren.

Die eher geringen Schäden an der Bahninfrastruktur bei diesen Luftangriffen verleitete offenbar auch die deutsche Luftwaffe zu der Annahme, dass Pforzheim nicht Ziel eines schweren Flächenbombardements werden würde. Sie hatte auf den Höhen rings um die Stadt zwar sechs Flakstellungen errichtet: Römerberg, Wallberg, Wartberg, Riedhof, Bohrrain und Dennach. Aber sie alle waren nur mit Leichter Flak besetzt, die gegen hoch fliegende schwere Bomber infolge ihrer geringen Reichweite nichts ausrichten konnte. Diese Einheiten gehörten zu den Leichten Heimatflakbatterien 29/VII und 35/VII, die in der Buckenberg-Kaserne untergebracht waren.

Am 12. Februar 1945 ging eine Schwere Flakbatterie mit 8,8 cm-Kanonen beim Sender Mühlacker in Stellung, die als einzige etwas gegen die hoch fliegenden Bomber ausrichten konnte.

Februar 1945

Am 22. und 23. Februar 1945 führten die USAAF und die RAF die kombinierte Operation „Clarion“ durch. Es war die größte und weiträumigste anglo-amerikanische Luftangriffskampagne im Zweiten Weltkrieg. Sie sollte binnen 48 Stunden zahlreiche Verkehrsanlagen im Deutschen Reich zerstören und zugleich die absolute Luftüberlegenheit der alliierten Luftstreitkräfte verdeutlichen. Die Kampagne war schon im Herbst 1944 geplant, wegen anderer Prioritäten aber mehrfach verschoben worden.„Clarion“ verursachte zwar zahlreiche Zerstörungen und forderte mehrere Tausend Tote, aber die Schäden an der deutschen Infrastruktur waren nicht nachhaltig, und konnten oft innerhalb einiger Tage repariert werden.

Pforzheim war kein Ziel von „Clarion“. Und auch die von britischer Seite am 28. Juni 1944 durchaus richtig eingestufte kriegswichtige feinmechanische Industrie war inzwischen aus der Stadt verlagert worden. Doch am 23. Februar 1945 griffen 368 britische Bomber die Stadt an. Entsprechend der britischen Direktive war für sie nicht der Bahnhof das Ziel, sondern die Stadt mit ihrem Bahnhof. Im Feuersturm brannten auf einer Fläche von 3 km Länge und eineinhalb Kilometern Breite alle Gebäude aus. Die Verlautbarung der RAF wiederholte die Darstellung vom Juni 1944 und erklärte: „it is known that almost every house in this city was a small workshop engaged in the production of precision parts for instruments, small arms and fuzes“. Auch die Infrastruktur der Reichsbahn war nun zerstört. Insgesamt verloren bei Luftangriffen auf Pforzheim wohl ca. 20.000 Menschen ihr Leben.