Flakhelfer in Gundelsheim

Ende November 1944 verlegte ein leichter Flakzug mit drei 2 cm-Geschützen vom Flugplatz Schwäbisch Hall-Hessental und zwei Züge mit 3,8 cm-Flak nach Gundelsheim. Die Kanonen wurden auf dem westlichen Neckarufer in unmittelbarer Nähe der Neckarschleuse in feldmässigen Stellungen postiert. An den Kanonen verrichteten auch Flakhelfer ihren Dienst, so waren jedem 2 cm-Geschütz vier Jugendliche zugeordnet.

Zunächst gingen die Flakhelfer davon aus, dass sie die Neckarschleuse sichern sollten, damit der Schiffsverkehr aufrechterhalten werden konnte. Es wurde jedoch bald schon klar, dass der Verteidigungsauftrag der Bahnlinie und dem Böttinger Tunnel galt. Andererseits gab es Ende 1944 tatsächlich einen Angriff amerikanischer Flugzeuge auf die Schleuse, die aber nicht getroffen wurde.

Mitte Februar 1945 wurde der 2 cm-Flakzug von amerikanischen Flugzeugen attackiert, die einen Angriff auf die Bahnlinie flogen. Sie beschossen die Flakstellung mit Ihren Bordwaffen. Mehrere Flakhelfer wurden verletzt.

Am 24. März wurden die Flakhelfer nach Stuttgart befohlen, wo sie entlassen wurden. Einige wurden kurz darauf erneut eingezogen und kamen in unterschiedlichste Einheiten. Nicht alle überlebten diese Einsätze in den letzten Kriegswochen.

Die Neckarlager des KZ Natzweiler-Struthof

Am 18. März 1944 trafen 50 Häftlinge aus dem KZ Natzweiler-Struthof in Neckarelz ein. Dies war der Auftakt zu einem umfangreichen Verlagerungsprojekt für die Firma Daimler-Benz, und der Grundstock für ein ganzes Netz an KZ-Außenlagern am Neckar, die in der Region entstanden. Kern des Projekts waren die Gipsstollen Ernst und Friede in Obrigheim, in die die Produktion von Flugmotoren aus dem Werk Genshagen (Grube Friede, Deckname „Goldfisch“) und Sindelfingen (Grube Ernst, Deckname „Brasse“) verlagert wurde. Aus Genshagen kamen die ersten Maschinen am 26. Juni 1944 nach Obrigheim. Zusammen mit dem Stollen in Hochhausen und dem Tunnel von Asbach standen Daimler-Benz in diesen vier unterirdischen Anlagen rechnerisch 50.000 Quadratmeter Produktionsfläche zur Verfügung.

Das Projekt, das als KZ-Außenlager Neckarelz gegründet wurde, entwickelte sich zu einem eigenen Lagernetz, das am Ende aus insgesamt neun Zwangsarbeiterlagern bestand. Nachdem ein zweites Kommando in Neckarelz hinzukam, wurden die beiden Außenlager mit römischen Ziffern unterschieden. Neben dem KZ Vaihingen/Enz war Neckarelz I, wie es nun hieß, das einzige Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof, das über ein eigenes Netz von Nebenlagern verfügte. Diese Lagerstruktur verteilte sich immer mehr auf die Region. Neben Neckarelz I und II waren dies die Lager Neckargerach, Neunkirchen, Asbach, Neckarzimmern, Neckarbischofsheim, Bad Rappenau und Neckargartach. Hinzu kam das zwischen Mosbach und Neckarelz errichtete „Hammerlager“, in dem bis zu 1.000 von den SS-Gerichten zu Zwangsarbeit verurteilte SS-Angehörige untergebracht werden sollten.

Neben den Produktionsstätten von Daimler-Benz in Obrigheim wurden die Häftlinge dieses Lagersystems auch für Arbeitskommandos in Guttenbach, Binau, Daudenzell, Mosbach, Kochendorf (Projekt „Eisbär“ der Firma Heinkel) , Neckargartach (Projekt „Steinbock“ der IG-Farben und Lagerräume für die Firma Tengelmann) herangezogen. In der Zeit vom März 1944 bis März 1945 waren zwischen 6.000 und 10.000 Häftlinge in den Neckarlagern eingesetzt.

V2-Produktion im Böttinger Tunnel?

Obwohl die Region buchstäblich mit KZ-Betrieben und Lagern überzogen war, blieb das Lagersystem den Flakhelfern verborgen. In Gundelsheim gab es kein Lager und keine Produktionsstätte. Schloß Horneck war zum Lazarett umgebaut worden, in dem auch mindestens einer der Flakhelfer seine bei einem Luftangriff auf Gundelsheim erlittenen Verletzungen behandelt bekam.

Als nach dem Krieg immer mehr Informationen über die KZ-Betriebe und die Standorte der unterirdischen Rüstungsproduktion an die Öffentlichkeit gelangten, reagierten die Flakhelfer schockiert. Es hieß, im Böttinger Tunnel sei ein unterirdischer Betrieb für die V2-Produktion untergebracht gewesen und ihr Verteidigungsauftrag sei somit in Wahrheit der Schutz dieser U-Fabrik gewesen.

Die tatsächliche Situation zeigte sich erst im Laufe der Jahre, als umfangreiche Recherchen, die Freigabe und Auswertung von Dokumenten und somit eine umfassende Aufarbeitung des KZ-Systems und der damit verwobenen Rüstungsproduktion möglich wurde.

Bei den Flakhelfern hinterließ die erste, noch ungenaue Information einen bleibenden Eindruck und das nachhaltige Gefühl, nicht zum Schutz der bedrohten Städte gedient zu haben, wie ihnen ursprünglich eingetrichtert worden war, sondern zum Schutz einer Rüstungsmaschinerie, die auf Sklavenarbeit fußte, und die den Tod ihrer Zwangsarbeiter als eine normale Begleiterscheinung in Kauf nahm. So sind die Aussagen der ehemaligen Luftwaffenhelfer Walter Hampele und Hans-Ulrich Hege im Buch „Noch einmal davongekommen“ zu verstehen.

Dass sie annahmen, eine unterirdische Fabrik im Böttinger Tunnel verteidigt zu haben ist letztlich ein unbedeutender Irrtum. Denn der Sachverhalt insgesamt war richtig. Der Verteidigungsauftrag galt der Bahnlinie, die eine zentrale logistische Funktion für die Neckarlager und ihre Produktionsstätten hatte. Im Glauben die Staustufe zu verteidigen, dienten sie letztlich dem Schutz der Verkehrsinfrastruktur dieses KZ-Systems.

Den Beleg, dass im Böttinger Tunnel selbst keine unterirdische Fabrik sein konnte, liefert Walter Hampele sogar selbst. Er beschreibt den Luftangriff amerikanischer Thunderbolts auf einen Lazarettzug im Februar 1945. Die Flugzeuge hatten ihre Bomben nördlich von Gundelsheim abgeworfen, waren aber noch nicht abgedreht, als der Zug langsam aus dem Tunnel herausfuhr. Die Thunderbolts attackierten die Lokomotive mit ihren Bordwaffen und beschädigten sie schwer.

Für die Nutzung als Produktionsstätte wäre der Tunnel stillgelegt worden, und der Lazarettzug hätte nicht hindurchfahren können. V2-Komponenten wurden in den Neckarlagern nicht gefertigt.