Richard Scheuerle 1899 – 1958

Er war der Herr über Stuttgarts Bunker-Bauprogramm. Und er brachte sich noch während des Krieges mit großem Eifer in die Planungen für einen Wiederaufbau Stuttgarts nach dem Krieg ein. In zahlreichen Sitzungsprotokollen taucht der Name Richard Scheuerles auf und doch ist über den Mann hinter den Baumassnahmen, aus denen Stuttgarts Bunker hervorgingen, kaum etwas in der Öffentlichkeit bekannt. Oberbaurat Richard Scheuerle war 1940 von OB Dr. Strölin zum verantwortlichen Beamten für den Bau von Luftschutzräumen in Stuttgart bestimmt worden, und er blieb dies während des gesamten Krieges.

Es war Scheuerles Vorstoß, in den am 21. November 1940 begonnen Beratungen mit den Beiräten für Luftschutzfragen die aus den 20er Jahren stammende Idee für einen Tunnel zwischen der Innenstadt und dem Osten aufzugreifen. Scheuerle schlug einen 780 m langen Tunnel mit zwei Röhren zu je 10 m Breite vor.

Als Alternative stand die Empfehlung von Stadtrat Dr. Schwarz im Raum. Diese umfasste einen ca. 1200 – 1300 m langen „U-Bahn-Schlauch“ vom Platz der SA (Marienplatz) bis zum Hauptbahnhof und eine Unterführung der Königstrasse im Bereich Schul-/ Büchsenstraße. Die Beiräte entschieden sich für den Wagenburgtunnel. Am folgenden Tag besichtigten die Beiräte den Engelbergtunnel in Leonberg, um sich dort Anregungen für das Projekt zu holen.

Sechs Tage später, am 28. November, erfolgten die ersten Vergaben für Hoch- und Tiefbunker in Stuttgart. Die Standorte hatte man zuvor mit Prof. Bonatz alle abgefahren und diskutiert.

Am 13. Februar 1941 nennt Scheuerle die Zahl von etwa 35 Stellen, an denen an bombensicheren Luftschutzräumen gebaut werde. Am 31. März 1941 ist der Bunker am Gustav-Siegle-Haus fertig. Am 24. Juni hat Scheuerle 36 Baustellen unter sich, von denen 19 bereits bis zum Rohbau fertiggestellt sind. Er berichtet, dass auf den Baustellen 797 deutsche und 887 kriegsgefangene Arbeiter eingesetzt sind.

Diese Zahlen täuschen freilich darüber hinweg, dass trotz aller Anstrengungen im Sommer 1941 nur Schutzplätze für 5% der Stuttgarter Bevölkerung zur Verfügung stehen. Scheuerle weiß das und er mahnt auch immer wieder an, dass weitere Anstrengungen nötig sind. Er forciert den luftschutzmäßigen Ausbau von Kellern in Wohngebäuden. Von Februar bis Ende August 1941 richten die Baukolonnen die Keller von 6.170 Wohngebäuden her, in denen 76.877 Menschen wohnen. Bis 07. Oktober sind es 7329 Gebäude.

Auch die Baustellen der Großluftschutzräume Wagenburgtunnel und Schwabtunnel unterstehen Scheuerle. Die Stuttgarter Beiräte für Luftschutzfragen ziehen eine positive Bilanz: Verglichen mit Städten, in denen der „Selbstschutzbau“, also der Ausbau der Keller, dem Reichsluftschutzbund übertragen worden war, ist man in Stuttgart weiter vorangekommen – trotz einer relativ geringen Zahl von Arbeitskräften. Den Grund sehen die Beiräte vor allem in der guten Planung und damit zu einem großen Teil in der Arbeit Richard Scheuerles.

Im Juni 1942 waren die Keller von 14.000 Gebäuden mit 176.158 Bewohnern umgerüstet. Die Belegung der vorhandenen Bunker, so Scheuerle, könne auf 60.000 Personen gesteigert werden. Somit hatte er noch für 170.000 Einwohner Stuttgarts für Schutzplätze zu sorgen. Zwei Jahre später hatte der Oberbaurat dieses Ziel erreicht. Am 23. Mai 1944 referierte OB Dr. Strölin, dass den derzeit 352.000 Einwohnern „jetzt rund 477.000 Schutzraumplätze“ gegenüberstehen. Und zwar ohne die Werksluftschutzplätze der Betriebe hinzuzurechnen.

2 Monate später wurde die Innenstadt Stuttgarts durch den verheerenden Doppelangriff am 25. und 26. Juli weitgehend zerstört. Bei den Juliangriffen am 25./26. und 28./29.07. 1944 starben in Stuttgart 884 Menschen.

Von Zeitzeugen wurde Richard Scheuerle als zielstrebiger Technokrat beschrieben. Den Quellen nach schien ihm die Zielerreichung im Beruf wichtiger als politische Ideologien. Als es nach den verheerenden Luftangriffen von 1944 um die Planungen für den Wiederaufbau ging, schien er jedenfalls erneut voller Tatkraft und enormem persönlichen Eifer ans Werk gegangen zu sein, ohne sich lange mit politischen Opportunitäten zu beschäftigen.

Im November 1944 begannen auch in Stuttgart die planerischen Arbeiten auf der Basis der Anordnung für den Arbeitsstab Wiederaufbau zerstörter Städte. Für Stuttgart sollte Wilhelm Tiedje einen Vorschlag erarbeiten. Er wurde aufgefordert mit Dr. Schwarz zu kooperieren. Dieser wiederum sollte mit Richard Scheuerle zusammen arbeiten. Die Zusammenarbeit funktionierte jedoch nicht. Am 12. Januar 1945 wandte sich Dr. Schwarz an OB Dr. Strölin: „Nachdem Herr Stadtbaudirektor Scheuerle die technischen Ämter, die ihm nur zum Zwecke der Durchführung der Sofortmaßnahmen übergeben wurden, seit kurzem zu eigenen Planungen einsetzt und bereits mehr Arbeitskräfte dafür einsetzt als mir zur Verfügung stehen, außerdem über die gesamten Planungsunterlagen der Ämter verfügt; darüber hinaus aber auch noch einen Privatarchitekten mit Wideraufbauplanungen für Stuttgart beauftragt hat, ist praktisch Herr Stadtbaudirektor Scheuerle der bestimmende Referent für den Wiederaufbau.“ Diese herausragende Rolle fand ihr Ende mit dem Ende des Krieges.

So schwierig sein Verhältnis zu Kollegen war: Scheuerles Ehrgeiz und seine zielgerichtete Art haben vermutlich wesentlich dazu beigetragen, dass die Zahl der Opfer durch die Luftangriffe auf Stuttgart nicht noch höher ausfiel.