SS-Eisenbahnbaubrigaden

Über den amerikanischen Luftangriff auf Cannstatt am 09. Dezember 1944 schrieb Heinz Bardua 1967 in „Stuttgart im Luftkrieg“: „Noch heute zeugen die von zahlreichen Bombensplittern herrührenden großen Löcher in den massiven Mauern der König-Karls-Brücke und dem Wilhelmsplatz von der Wucht dieser Angriffe. Es ist aber zum Staunen, in welch kurzer Zeit die Bauzüge der Reichsbahn die zerstörten und von Sprengtrichtern übersäten Strecken damals wieder befahrbar zu machen verstanden.“

Als Bardua dies schrieb, standen ihm zahlreiche Dokumente und Archive noch nicht zur Verfügung, die heute erschlossen sind. So hatte er auch keine Kenntnis vom eigentlichen Charakter dieser „Bauzüge der Reichsbahn“, deren Rolle in Stuttgart ab den 1990er Jahren in der historischen Literatur genauer beleuchtet wurde.

Um in den von Luftangriffen schwer beschädigten Städten, aber auch zwischen den Städten die Eisenbahninfrastruktur wieder instand zu setzen, stellte die SS ab Juli 1944 sogenannte SS-Eisenbahnbaubrigaden auf. Es waren KZ auf Schienen. Eine solche Brigade bestand aus 504 KZ-Häftlingen, die für diese Maßnahmen in Waggons untergebracht wurden. Diese Züge wurden dann zu den Einsatzgebieten gefahren. Da die Häftlinge tags auf der Baustelle waren und ansonsten in den Waggons lebten, mussten keine Barackenlager errichtet werden, und die Brigade konnte flexibel und schnell von einem Einsatzort zum nächsten verlegt werden.

Die Bauzüge bestanden aus etwa 50 Güter-Waggons und einem umgebauten D-Zug-Wagen für den Führungsstab. Drei geschlossen Güterwaggons dienten der Wachmannschaft als Unterkunft, ca. 20 geschlossene Güterwaggons waren für die Unterbringung der 504 Häftlinge umgebaut worden und mit Etagenpritschen versehen. Es gab eigene Waggons für die Küche, das Lazarett, die 15-20 Kapos, Privat- und Reservewagen, sowie eine Reihe von Waggons für die Geräte.

Einsatz in Stuttgart

Am 25. Oktober 1944 wurde die 7. SS-Eisenbahnbaubrigade von Karlsruhe nach Stuttgart verlegt. Sie war am 18. September 1944 mit 505 Häftlingen aus Polen und der Sowjetunion als 2. SS-Eisenbahnbaubrigade in Auschwitz aufgestellt worden. Die Umbenennung der 2. in 7. SS-Eisenbahnbaubrigade erfolgte im Oktober. Durch die verheerenden Angriffe im Juli und September 1944 waren in Stuttgart auch die Eisenbahnanlagen schwer beschädigt worden. Hierunter litten nicht nur die Nachschubverbindungen an die Front, sondern auch die Zulieferung für die in Stuttgart angesiedelten Rüstungsbetriebe.

Am 29. November 1944 wurden die in Sachsenhausen aufgestellte 8. SS-Eisenbahnbaubrigade ebenfalls nach Stuttgart verlegt. In der Literatur taucht auch die 9. SS-Eisenbahnbaubrigade auf, die ebenfalls aus Sachsenhausen kommend zeitgleich in Stuttgart eingetroffen sein soll. In ihrem Buch „Krieg, Gesellschaft und KZ: Himmlers SS-Baubrigaden“ schreibt Karola Fings allerdings, dass die Aufstellung dieser Brigade nicht mehr zustande kam. Demzufolge beziehen sich Berichte zum Einsatz der 8. und 9. SS-Eisenbahnbaubrigade vermutlich alleine auf die 8.

Durch die SS-Eisenbahnbaubrigaden und deren Unterbringung auf Gleisanagen im Stadtgebiet befand sich also für mehrere Monate ein KZ mit 500, zweitweise sogar 1000 Häftlingen in Stuttgart. Die SS-Eisenbahnbaubrigaden hatten u.a. den Auftrag, Reparaturen am neuen Rosensteintunnel in Bad Cannstatt durchzuführen und ein Nebengleis von Cannstatt durch den Rosensteinpark nach Norden zu verlegen. Die Häftlinge wurden auch für die Beseitigung von Bombenschäden an Bahnanlagen und Wiederherstellung von Gleisen eingesetzt.

Auch mit der Reparatur des Bahnbetriebswagenwerks Stuttgart Nord (die heutigen „Wagenhallen“), das am 02. März 1944 schwer beschädigt wurde, wurde im Januar 1945 begonnen. Die Hallenstände 8 bis 14 waren bei dem Angriff vollständig zerstört worden, andere schwer beschädigt. Es ist bislang kein direkter Beleg aufgetaucht, dass diese Reparaturen von der SS-Eisenbahnbaubrigade durchgeführt wurden. Allerdings spricht die Tatsache, dass zehn Monate nach dem schweren Angriff nun offenbar im Januar 1945 das Personal für die Arbeiten plötzlich vorhanden war, sehr stark dafür. Dieser Einsatz passt auch zu den anderen Einsätzen dieser Brigaden. Zeitlich fielen diese Arbeiten in die Anwesenheit der 7. SS-Eisenbahnbaubrigade in Stuttgart.     

Schutz vor Luftangriffen

Der Zug der 7. SS-Eisenbahnbaubrigade wurde aus Angst vor Luftangriffen in einer der beiden Röhren des Pragtunnels abgestellt. Dabei spielte die Sicherheit der KZ-Häftlinge weniger eine Rolle, als die Befürchtung, dass der auf offener Strecke stehende Zug alliierte Angriffe auf sich und die umliegenden Bahnanlagen ziehen könnte. Der Zug der 8. SS-Eisenbahnbaubrigade war sehr wahrscheinlich im Bereich des Rosensteintunnels abgestellt.

Der Pragtunnel wurde an beiden Portalen von Posten abgesperrt. Im Innern durften sich die Häftlinge aufhalten. Nach dem Abendappell wurden sie in ihre Waggons eingeschlossen.

Der Tunnel wurde allerdings auch weiterhin für den Verkehr genutzt. So wurden am 30. Oktober 1944 drei Häftlinge durch hindurchfahrende Züge getötet. Die SS reagierte auf den Vorfall, indem sie den Zug aus dem Tunnel zog. Die Häftlinge konnten den Tunnel aber als Unterstand bei Bombenangriffen nutzen. Auch dabei wurden jedoch durch hindurchfahrende Züge nochmals mehrere Häftlinge getötet.

Dennoch war die Todesrate in der 7. SS-Eisenbahnbaubrigade gerade auch durch die Unterbringung im Tunnel im Vergleich zu anderen Brigaden sehr niedrig. 12 Todesfälle sind belegt. 10 Häftlinge wurden an die Stapo bzw. das KZ Leonberg überstellt. 31 Häftlingen gelang die Flucht. Zum 01. April 1945 hatte die Brigade noch eine Stärke von 470 Häftlingen. Die meisten anderen Brigaden lagen zu diesem Zeitpunkt noch bei rund 440 Häftlingen. In diesen Brigaden kamen viele Häftlinge bei Luftangriffen um, weil sie keine Schutzräume aufsuchen durften. In der 9. (also sehr wahrscheinlich der 8.) SS-Eisenbahnbaubrigade sollen während des Einsatzes in Stuttgart 50 Häftlinge umgekommen sein. Es ist aber nicht klar, wie viele davon direkt bei Luftangriffen getötet wurden, da die Todesfälle beim Bombenräumen nicht zu den Opfern des jeweiligen Angriffs gerechnet wurden.

Ende der Einsätze in Stuttgart

Die 8. SS-Eisenbahnbaubrigade verließ Stuttgart noch vor Weihnachten 1944. Um den 20. Dezember traf sie in Offenburg ein.

Die 7. SS-Eisenbahnbaubrigade wurde in zwei Teilen aus Stuttgart herausgeführt. Ein Teil der Brigade verließ Stuttgart am 03. März 1945 in Richtung Biberach, wo die Häftlinge zunächst weiter arbeiteten. Der Zug wurde am 23. April nach Bad Schussenried verlegt, wo sich die Häftlinge selbst befreien konnten. Die andere Hälfte des Zuges mit rund 200 Häftlingen wurde am 02. April 1945 aus Stuttgart abgezogen. Der Zug fuhr bis Aulendorf in der Bodenseeregion. Von dort wurden die Häftlinge noch auf einen Fußmarsch geschickt, bei dem mehrere getötet wurden. Die Überlebenden wurden bei Ravensburg befreit.