Sattelstrasse

Im Bereich Wallmerstraße finden sich noch heute zwei Gebäudeensembles, die in sich geschlossen sind, zueinander jedoch stark gegensätzlich wirken, obwohl sie beide in nur sechs Jahren entstanden sind. Es handelt sich um die Wallmersiedlung, bestehend aus den zwei Abschnitten Wallmer I und Wallmer II.

Die viergeschossigen Gebäude von Wallmer I wurde 1925-26 im damaligen Stil traditionell mit Satteldach errichtetet. Kurz darauf stellten Richard Döcker und seine Kollegen mit ihrem Konzept für Wallmer II eine radikalen, zukunftsweisenden Entwurf vor, der zwar mit Abstrichen, aber doch weitgehend nach seinen Vorstellungen 1929-31 umgesetzt wurde: Flachdächer, Balkone für jede Wohnung, nach außen verlagerte Treppenhäuser, um Wohnraum zu gewinnen, die markanten, größeren Eckbauten, das vierte Geschoss zurückversetzt, hier ist der Einfluss der Bauhaus-Architektur deutlich. Beide Komplexe gehören heute der SWSG.

Bunker in der Sattelstraße

1941 wurde den beiden so konträren Siedlungsentwürfen noch ein weiterer architektonischer Akzent hinzugefügt. Oberhalb der Siedlung wurden in der Sattelstraße 46 und 70 zwei baugleiche Hochbunker errichtet, die man mit einem Pyramidendach versah, um sie besser in die Umgebung einzupassen. Sie hatten damit eine fast identische Optik wie die Hochbunker in Steinhaldenfeld.

Jeder der beiden Luftschutzbauten hat eine Grundfläche von 240 qm, Stadtwasseranschluss, Elektrik, eine Lüftungsanlage und Toiletten. Die fünf oberirdischen und ein unterirdisches Geschoss waren für jeweils 1200 Personen konzipiert. Die beiden Bunker sollten also zusammen 2400 Menschen aufnehmen können. Die Dimensionierung und Konzeption der beiden Bauwerke ist nicht nur den „Brüdern“ in Steinhaldenfeld ähnlich, sondern auch den Bunkern im Wolfbusch (Seelachwald) und in der Sickstraße.

Eine Sandsteinverkleidung wie die beiden letztgenannten Bauwerke erhielten die beiden Wallmerbunker nicht mehr. Die aufgesetzten Pyramidendächer überlebten zwar beide den Krieg, nicht aber die Nachkriegszeit. So wurden die Ziegel zur Reparatur von Dächern umliegender Wohngebäude genutzt. Das Gebälk fand Verwendung bei der Errichtung einer Behelfsbrücke über den Neckar in Bad Cannstatt. Nach dem Krieg wurden beide Bunker zunächst als Wohnheime für ledige Männer genutzt. Die Arbeiterwohlfahrt brachte in den beiden Bunkern zusammen 130 Personen unter, die in der vom Krieg schwer getroffenen Stadt zunächst keine andere Unterkunft fanden.

Sattelstraße 46

Der Bunker Sattelstraße 46 wurde während des Kalten Krieges mit der Bauwerksnummer 124 versehen und vollständig modernisiert. In den 1980er Jahren wurde er von der Stadt Stuttgart einige Zeit an Musiker als Proberaum vermietet. Von einer dieser Bands liegt uns ein Zeitzeugenbericht vor.

2007 wurden das Dach neu mit Bitumen abgedeckt, die Fassade weiß gestrichen und die Dachrinnen erneuert. Außerdem war der Anschluss an das Kanalnetz verstopft. Für die Maßnahmen wurden ca. 10.000 Euro aufgewendet. Der Hochbunker war zu dieser Zeit für 600 Personen ausgelegt.

Wenige Jahre später wurde der Bunker aus der Zivilschutzbindung genommen und 2014 an einen privaten Investor verkauft. 2014/15 wurde der Bunker zum Wohnhaus umgebaut, in dem fünf Wohnungen mit je 130 qm Fläche entstanden. Auf der Hangseite wurde ein Carport angebaut und ein kleiner Kinderspielplatz geschaffen. Alle Wohnungen erhielten einen Balkon.

Mit den großzügigen Fenstern und Balkonen, sowie einem neu gestalteten Eingangsbereich ist das Gebäude kaum noch als ehemaliger Bunker zu erkennen. Nur wer genauer hinschaut erkennt, dass die Fenster in ungewöhnlich dicken Außenmauern liegen und auch das Dach des Gebäudes erheblich dicker ist, als bei anderen Häusern.

Der Bunker Sattelstraße 46 ist das erste vollendete Konversionsprojekt in Stuttgart, bei dem ein Bunker zu einem Wohngebäude umgestaltet wurde.

Sattelstraße 70

Der Bunker Hausnummer 70 repräsentierte bis vor wenigen Jahren auf beeindruckende und in Stuttgart nur noch sehr selten anzutreffende Weise die Überbleibsel des Krieges, für die die Nachkriegs- und Wirtschaftswunder-Gesellschaft irgendwann keine richtige Verwendung mehr hatte. Zum Abriss zu teuer, zum Instandsetzen nicht benötigt, blieb er weitgehend unverändert erhalten. Er war lange im Privatbesitz und diente überwiegend einem Antiquitätenhändler als Lagerraum. An der Fassade trainierte eine Sicherheitsfirma das Abseilen an Gebäuden. Der Bunker war zuletzt sehr wahrscheinlich unter der Bauwerksnummer 125 registriert gewesen sein.

Mit den steigenden Immobilienpreisen und nachdem die Sattelstraße 46 bereits umgebaut worden war, wurde auch dieser Bunker verkauft. Käufer war derselbe Investor, der bereits die Sattelstraße 70 umgebaut hatte. Die Projektkosten sollen bei 2 Millionen EUR gelegen haben. Im September 2022 war der Umbau zum Wohngebäude mit fünf 3-4 Zimmerwohnungen weitgehend abgeschlossen. Die Wohnungen wurden für jeweils rund 900.000 EUR angeboten. Nachdem die beiden Bunker etliche Jahre ein so unterschiedliches Bild abgegeben hatten, sind sie äußerlich nun wieder sehr ähnlich. Die Fassadenfarbe der Sattelstraße 70 ist allerdings komplett weiß.

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