Bietigheim, Projekt Rathausstollen

Zu den legendenumwitterten Projekten in Bietigheim gehört das Projekt ”Rathausstollen”. Die Spekulationen werden vor allem durch einen im Internet kursierenden Stollenplan angeheizt, der eine Anlage zeigt, die vom Keller des Rathauses über mehrere rechte Winkel unter dem Hof zwischen Rathaus und Hornmoldhaus zur Farbstrasse führt und in der dortigen Stadtmauer ihren Ausgang gefunden hätte. Der Planskizze war freilich nicht zu entnehmen, ob der Stollen bereits früher angelegt worden war, oder ob es sich um ein Neubauprojekt aus dem 2. Weltkrieg handelte.

Prinzipiell ist eine solche Anlage plausibel. In zahlreichen Städten wie z.B. in Stuttgart wurden solche Massnahmen durchgeführt, um der Stadtverwaltung einen Schutzraum zur Verfügung zu stellen, der im Alarmfall leicht erreichbar war und der eventuell auch die wichtigsten Akten aufnehmen konnte.

Im Unterschied zu den meisten anderen Stollenanlagen in Bietigheim und Bissingen, zu denen keine Pläne erhalten sind und teilweise möglicherweise nie offizielle Pläne erarbeitet wurden, war hier von offizieller Seite eine Planskizze erstellt worden.

Das Felsmassiv der Altstadt bot sich für einen solchen Stollen ebenfalls an. Letztlich brauchte man nur vom Keller des Rathauses aus einen Gang nach unten zu errichten. Laut Plan unterquerte der Stollen zumindest ein Gebäude und schien einen Notausstieg im Hofgrundstück zu haben.

2013 suchten wir den Kontakt zum Rathaus und stiessen zunächst auf ungläubige Reaktionen. Zwar hatte Bürgermeister Gotthilf Holzwarth schon zu Kriegsbeginn die Einlagerung wichtiger Akten in einen bombensicheren Keller verfügt. Den auf dem Plan dargestellten Stollen kannte im Rathaus aber niemand.

Bürgermeister Költz nahm sich der Sache nun persönlich an und begann mit Untersuchungen und Recherchen. Auch das Stadtarchiv wurde eingeschaltet. Das Ergebnis war überraschend aber eindeutig. Von dem Stollen konnte keine Spur gefunden werden. Weder zeigten die Kellerräume des Rathauses irgendwelche Hinweise darauf, dass dort einmal weitere Räumlichkeiten abzweigten, noch konnten irgendwelche Zeitzeugen gefunden werden, die sich an einen solchen Stollen erinnern konnten oder je davon gehört hatten.

Andererseits zweifelte niemand die Echtheit des Plans an. In einem so dicht bebauten Umfeld wie der Bietigheimer Altstadt finden Bauarbeiten auf sehr engem Raum statt. Also galt die nächste Untersuchung der Auswertung jener Baumassnahmen im Rathaushof, die nach dem 2. Weltkrieg durchgeführt wurden. Das Pflanzen von Bäumen hätte einen unterirdischen Luftschutzstollen nicht zwangsläufig tangiert. Doch auch für das Verlegen unterirdischer Rohrleitungen war das Areal bereits aufgegraben worden. Und dabei wäre ein darunterliegender Stollen ein sicheres Thema gewesen.

Im September 2013 schloss die Stadt Bietigheim-Bissingen die Untersuchungen ab. Zwar konnte im Archiv der Stollenplan gefunden werden. Es ist jedoch kein Beleg vorhanden, dass mit dem Bau begonnen wurde. Das Projekt „Rathausstollen“ kam über eine Entwurfsphase offenbar nie hinaus.