Güterbahnhof Untertürkheim

Am 22. Oktober 1845 nahm die Württembergische Eisenbahn den Betrieb auf dem Streckenabschnitt der Zentralbahn von Cannstatt nach Untertürkheim auf. Neben dem Personenbahnhof entstanden in Untertürkheim in den folgenden Jahrzehnten in der nordwestlichen Verlängerung des Gleisfeldes auch der Güterbahnhof und weitere Bahn-Betriebsstellen.

1896 wurde im Rahmen der Güterumgehungsbahn Untertürkheim-Kornwestheim eine zweigleisige, vierständige Lokomotivenremise gebaut. Zum Drehen der Lokomotiven wurde eine Drehscheibe mit einem Durchmesser von 16 m installiert. Sie befand sich ungefähr auf der Höhe der heutigen Stadtbahnhaltestelle „Blick“. Zwischen der Drehscheibe und der Augsburger Straße lag das Gütergleis in Richtung Waiblingen.

An der Augsburger Straße entstanden mehrere Gebäude mit Dienstwohnungen der Bahnbeschäftigten. Auch diese Gebäude sind noch teilweise erhalten. Durch die Vereinigung Cannstatts mit Stuttgart am 1. April 1905 wurden auch Wangen und Untertürkheim Teile von Stuttgart.

Am 26. November 1910 erfolgte der Anschluss Untertürkheims an das Stuttgarter Straßenbahnnetz. Die Linie 15 verkehrte vom Schlossplatz über Wangen bis zur Untertürkheimer Neckarbrücke.

Industrialisierung

Ab ca. 1880 hatte in Untertürkheim die Industrialisierung eingesetzt. Die die Bettfedernfabrik Straus & Cie. aus Cannstatt eröffnete 1889 ihre Produktionsstätte in Untertürkheim. Straus & Cie.war in den 1930er Jahren das weltweit größte Unternehmen für Bettfedern. 1938 wurden die jüdischen Inhaber zwangsweise enteignet und ihr Unternehmen aufgelöst.

1898 verlegte die Kakao- und Schokoladenfabrik Staengel & Ziller nach Untertürkheim. Das 1857 gegründete Unternehmen bildete aus den Initialen der Gründer die Marke „Eszet“. Die unter diesem Label ab 1933 am Bahnhof Untertürkheim produzierten Schokoladenschnitten gibt es bis heute. Die Marke hat das Ende von Staengel & Ziller überlebt. Die Schokoladenschnitten werden allerdings seit 1975 vom Kölner Stollwerck-Konzern produziert.

Das Gebäude der Eszet existiert noch heute. Es wird seit Jahren von dem Bettwarenhersteller Centa Star genutzt. Auch weitere teils namhafte Firmen siedelten in Untertürkheim an, das mit dem Bahnknoten, einer guten Straßenverbindung entlang des Neckartals und der Straßenbahn nach Stuttgart neben bebaubaren Flächen mit guten Verkehrsanbindungen punkten konnte.

Den größten Einfluss auf die Entwicklung Untertürkheims hatte freilich der 1900 abgeschlossene Kaufvertrag mit der Daimler-Motoren-Gesellschaft, deren Motorenwerk im benachbarten Cannstatt bei einem Brand zerstört worden war. Das kontinuierlich wachsende Automobil- und Motorenwerk prägt das Bild Untertürkheims bis heute.

Auch die Bahn baute den Standort weiter aus. Ab 1922 war Untertürkheim ein eigenständiges Bahnbetriebswerk. Die Drehscheibe wurde auf 23 m Durchmesser vergrößert.

Luftschutz für die Pendler

Die zahlreichen Industriependler waren auch der Grund, dass am Personenbahnhof in Untertürkheim unmittelbar nach Kriegsbeginn mit dem Bau eines Winkelturms für 500 Personen begonnen wurde, Ab Anfang 1941 wurde unter dem Karl-Benz-Platz zusätzlich noch ein Tiefbunker mit 1.581 qm Grundfläche errichtet. Diese Konstellation (Winkelturm + Tiefbunker) wurde in Stuttgart lediglich an den Bahnhöfen Untertürkheim und Feuerbach geschaffen. Beide Bahnhöfe waren von zahlreichen Pendlern frequentiert, die mit der Bahn zu ihren Arbeitsplätzen in den dortigen Industriewerken fuhren.

Unschlagplatz der Wehrmacht

Während des Krieges kam dem Güterbahnhof Untertürkheim eine wesentliche Bedeutung zu. Mit den Güterbahnhöfen Vaihingen (Eingemeindung 1. April 1942) und Kornwestheim war er einer der drei Bahnhöfe in Stuttgart und seiner direkten Umgebung, der für die Verladung schwerer Waffen und Geräte geeignet waren. So wurden auch die Schwere Flugabwehrkanonen per Bahn zu diesen Bahnhöfen transportiert und dann per Schleppmaschine an ihre Standorte.

Bis Ausbruch des Krieges waren die Kanonen zunächst in die Kaserne Ludwigsburg gebracht worden. Ab September 1939 wurden die Stellungen der Schweren Flak rund um Stuttgart besetzt. Für die Stellungen im Neckartal wurde der Bahnhof Untertürkheim zur naheliegenden Verladestation.

Am 11. Februar 1941 landeten die ersten deutschen Truppen in Tripolis. Damit begann offiziell der Feldzug des Deutschen Afrika-Korps, der auch die Flak-Waffe in Stuttgart vor erhebliche Herausforderungen stellte.

Am 15. März 1941 notiert das Luftgaukommando VII in seinem Kriegstagebuch: „Die gesamte als Ob.d.L.-Reserve im Luftgau lagernde Flakmunition wird für Tropeneinsatz umgerüstet. Tragbare Wasserbehälter, Wassersäcke für Flugzeugbesatzungen, Moskitonetze werden beschafft, Entseuchungsstationen zusammengestellt, Badezelte gefertigt. Die Transportbewagung zur Schiffsverladung nach Neapel für Schiffstransport nach Tripolis wird unter Kennwort „Kobra“ geführt. Umschlag der Nachschubgüter für die in Nordafrika eingesetzten Einheiten erfolgt durch Verladekommando Neapel.“

In den folgenden Monaten entwickelte sich eine enorme Betriebsamkeit an den Verladebahnhöfen, insbesondere auch in Untertürkheim. Durch zahlreiche Reorganisationen wurden Fahrzeuge und auch Kanonen verladen und an die Fronten auf dem Balkan und in Nordafrika abgegeben, aus anderen Teilen Württembergs und auch aus München kamen wieder Verbände zum Ersatz nach Stuttgart. Das riesige Gleisfeld und die durch die Industrialisierung geschaffene hohe Verladekapazität des Untertürkheimer Güterbahnhofs machte ihn nun zu einer Drehscheibe für die Aktivitäten der Wehrmacht.

1942 erweiterte die Bahn den Standort um eine Wagenwerkstätte. Von Oktober bis November des Jahren wurde dazu etwa auf Höhe der Ecke Augsburger Straße / Am Süßner eine Wagenhalle aus Holz errichtet.

Nachkriegszeit bis heute

Nach dem Krieg wurde Untertürkheim zunächst Außenstelle des Bahnbetriebswerks Kornwestheim und zum 1. April 1954 wurde auch die Außenstelle offiziell aufgelöst. Der Lokschuppen wurde 1962 abgebrochen.

Bis zum Umbau des Gleisfeldes für Stuttgart 21 gab es noch einige historische Schuppen und Ziegelbauten, die von der Geschichte des Güterbahnhofs und Betriebswerks zeugten. Inzwischen sind diese bis auf wenige Ausnahmen direkt neben dem Stadtbahngleis abgebrochen.

Das umfangreiche Gleisfeld liegt heute zu einem großen Teil brach und wird sukzessive zurückgebaut. Die imposanten Dimensionen erschließen sich vor allem von der Fußgängerbrücke über das Gleisfeld und lassen die einstige Leistungsfähigkeit dieses Güterbahnhofs und Betriebswerks erahnen. Genutzt wird heute nur noch der Personenbahnhof, der nach wie vor eine zentrale Rolle für viele Berufspendler spielt.