Reichsarbeitsdienst (RAD)

Bereits vor dem Esten Weltkrieg entstanden in der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland Diskussionen um eine „Frauendienstpflicht“, die de facto während des Krieges auch teilweise eingeführt wurde. Die Krisenjahre nach dem Ersten Weltkrieg nährten weitere Forderungen nach einem staatlichen Arbeitsdienst in Deutschland sowohl in linken wie in rechten Kreisen. Als Vorbild wurde immer wieder Bulgarien angeführt, das einen solchen Dienst 1920 eingeführt hatte. Die Motivationen der politischen Lager in der Weimarer Republik waren freilich unterschiedlich.

Auch unter dem Druck der erstarkenden NSDAP und der hohen Arbeitslosigkeit führte das Kabinett Brüning I im Sommer 1931 den sogenannten „Freiwilligen Arbeitsdienst“ (FAD) ein, der allerdings die erhoffte Wirkung deutlich verfehlte.

Mit der Notverordnung vom 5. Juni 1931 wurde die Förderung des FAD der Reichsanstalt für Arbeit zugewiesen und mit der Kürzung von Leistungen sowie einem Ausschluss der Freiwilligkeit für unter 21-jährige verbunden. FAD-Kräfte wurden fortan in förderungswürdige gemeinnützige Tätigkeiten vermittelt, die nicht bereits durch Notstandsarbeiten abgedeckt waren. Typische FAD-Tätigkeiten waren Arbeiten zur Bodenverbesserung, Kultivierung von Flächen für Siedlungs- und Kleingärten, örtliche Verkehrsinfrastruktur-Maßnahmen, aber auch Tätigkeiten zur Verbesserung der „Volksgesundheit“. Ab 1932 konnten auch Frauen zum FAD vermittelt werden.

Ein zentrales Thema Hitlers

Bereits in seiner ersten Rundfunkansprache kam Adolf Hitler am 1.Februar 1933 auf die Arbeitsdienstpflicht zu sprechen, die er als einen „Grundpfeiler“ seines Regierungsprogramms bezeichnete. Einen Monat später legte sein Beauftragter Konstantin Hierl auch schon ein erstes Konzept für einen „staatlichen Arbeitsdienst auf freiwilliger Grundlage“ vor.

Mit dem Gesetz für den Reichsarbeitsdienst (RAD) vom 26. Juni 1935 entfiel die Freiwilligkeit. So besagte §1 (2): „Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volk im Reichsarbeitsdienst zu dienen.“ Gemäß §3 (1) bestimmte „die Zahl der jährlich einzuberufenden Dienstpflichtigen“ der „Führer und Reichskanzler“, der auch die Dauer der Dienstzeit festsetzen sollte. Trotz der gesetzlichen Geschlechtsunabhängigkeit wurden zunächst nur junge Männer einberufen. Sie hatten vor Antritt ihres Wehrdienstes sechs Monate beim RAD abzuleisten. Die Ausdehnung der Dienstpflicht für die „weibliche Jugend“ erfolgte erst zum Kriegsbeginn.

Vom Arbeitsdienst zur Bauabteilung der Wehrmacht

So prägen viele Fotos und Darstellungen aus den ersten Jahren des RAD bis heute das Bild der immer stärker paramilitärisch agierenden Organisation: Junge Männer beim Bau von Straßen, Bachläufen und Bewässerungskanälen, oder bei Forstarbeiten. Dabei war der RAD schon vor Kriegsbeginn immer mehr auch zu einer Hilfs-Bauabteilung für die Wehrmacht geworden, und am Bau des Ostwalls, wie auch des Westwalls beteiligt. Unmittelbar nach Kriegsbeginn waren dem Flugabwehrkommando Schwarzwald 9 Bau-Bataillone mit 27 Baukompanien des RAD zugeordnet worden, die mit dem Bau der Flak-Stellungen der Luftverteidigungszone West und ihrer Infrastruktur beauftragt waren. In anderen Abschnitten der LVZ dürften ähnliche Kontingente im Einsatz gewesen sein.

RAD-Einheiten folgten der Wehrmacht im Polen-Feldzug, um dort durch Kampfhandlungen zerstörte Infrastruktur instand zu setzen, sie waren nach der Besetzung Norwegens und der Kapitulation Frankreichs auch als Bautruppen in diesen Ländern tätig. Der männliche Reichsarbeitsdienst war nun von zivilen Aufgaben größtenteils abgezogen.

Ab 1942 wurden Baubataillone des RAD in Russland direkt hinter der Front zum Bau von Befestigungen und Verkehrswegen eingesetzt und dabei auch in Kampfhandlungen verwickelt, die Verluste forderten. Nach dem Ableisten des Arbeitsdienstes wurden die jungen Männer dann direkt vor Ort in Feldausbildungsregimenter übernommen.

RAD-Flak

Ab 1943 stellte der RAD auch selbständige Flak-Batterien auf. Da zugleich auch die Mittel- und Oberschüler der Jahrgänge 1926 und 1927 als Luftwaffenhelfer (Flakhelfer) eingezogen wurden, entstand für Angehörige dieser Jahrgänge eine häufig zwangsläufige Zuteilung zur Flak.

Die Mittel- und Oberschüler, die offiziell noch Schüler und HJ-Angehörige waren, kamen als Flakhelfer dorthin. Haupt- und Mittelschüler, die die Schule schon abgeschlossen hatten, wurden vor Beginn einer Lehre oder teils sogar aus dieser heraus zum Reichsarbeitsdienst eingezogen und konnten dort ebenfalls einer Flakbatterie zugeordnet werden.

In Stuttgart kamen Schwere RAD-Flakbatterien in den Stellungen Heumaden/Sillenbuch, Schmidener Feld und Weilimdorf zum Einsatz. An allen drei Standorten war die RAD-Flak zur Verstärkung der bereits vor Ort stationierten Schweren Flak eingesetzt. Ein Foto aus der Batterie an der Solitudestraße in Weilimdorf zeigt zwei Jugendliche in RAD-Uniform inmitten der gleichaltrigen Flakhelfer der dortigen Stellung. In Karlsruhe gab es einen Beobachtungsposten der Flak, wo sich Luftwaffenhelfer und RAD-Angehörige im Dienst tageweise abwechselten.

Die Jugendlichen der Jahrgänge 1926/27 wurden nach Ende ihres Dienstes als Flakhelfer entweder in die Wehrmacht eingezogen oder zum RAD, wo sie mitunter erneut an der Flak Dienst taten.

RAD für die weibliche Jugend

Die Einberufung von Frauen („Arbeitsmaiden“) zum RAD erfolgte zunächst vor allem als Entlastung der Landwirtschaft. Bis Ausbruch des Krieges war der RAD nur für Abiturientinnen mit Studiumsabsicht Pflicht gewesen. Für diese waren schon früh Lager in bestehenden Gebäuden eingerichtet worden, die auf einen dauerhaften Betrieb ausgelegt wurden, anders als die damals oft Baustellen zugeordneten Lager der Männer, die häufig aus Holzbaracken bestanden.

Beispiele für solche Lager des weiblichen RAD waren das Kloster Wald bei Sigmaringen, Schloß Trochtelfingen, das Amtsgebäude in Güglingen, das ehemalige Gasthaus zur Sonne in Halden-Bühlertann, das alte Schulhaus in Oberderdingen oder die ehemalige Färberei bei der Mühle in Döttingen. All diese 1937 eingerichteten Lager bestanden bis Kriegsende.

Die Bezirke des RAD für Männer und Frauen waren unterschiedlich eingeteilt. Die männliche Jugend in Württemberg war dem Arbeitsgau XXVI (Stuttgart) zugeteilt, in Baden dem Arbeitsgau XXVII (Karlsruhe). Der RAD für die weibliche Jugend deckte mit dem Bezirk XII Württemberg-Hohenzollern und Baden, sowie die Pfalz bis zur Saar und nach Mannheim (einschließlich) ab. Die größeren Bezirke bei der weiblichen Jugend hatten ihren Ursprung in der zunächst geringeren Zahl der Dientsverpflichteten.

Die erste pflichtmäßige Einziehung junger Frauen zum RAD erfolgte im November 1939. Sie betraf die Angehörigen der Jahrgänge 1920/21.

Erweiterte Aufgaben ab Kriegsbeginn

Mit Beginn des Krieges veränderte sich aber nicht nur der weibliche Personenkreis, der zum RAD eingezogen wurde, sondern auch deren Aufgaben. Neben dem Ersatz männlicher Erntearbeiter und anderer landwirtschaftlicher Arbeitskräfte, die zum Kriegsdienst eingezogen wurden, und den traditionellen hauswirtschaftlichen Einsätzen kamen „RAD-Maiden“ nun verstärkt auch z.B. in Großküchen zum Einsatz.

In etlichen Lagern wurde mit der Zucht von Angorakaninchen im Auftrag der Luftwaffe begonnen. Die Tiere wurden alle 99 Tage geschoren. Aus ihrer ca. 8-9 cm langen Rückenwolle wurde das Futter der Pilotenkombinationen und Unterwäsche für die Flieger hergestellt.

Zum 01.10.1940 existierten im Bezirk XII 84 Einheiten des „RAD für die weibliche Jugend“ (RAD w.J.) in 68 Lagern mit 3.473 „Arbeitsmaiden“. Seit 1937 hatte der RAD w.J. in Stuttgart seinen Sitz in der Hohenstaufenstraße 11.

Der Kriegshilfsdienst

Am 29.Juli 1941 wurde für die „Arbeitsmaiden“ der Kriegshilfsdienst (KHD) eingeführt. Nach der abgeleisteten Dienstpflicht beim RAD wurden die jungen Frauen zu einem halben Jahr KHD verpflichtet. Dadurch sollten bisher vom Kriegsdienst freigestellte Männer z.B. bei der Post, Bahn, Wehrmachtsstellen, aber auch in kriegswichtigen Betrieben, ersetzt und so für die Front verfügbar gemacht werden. Aus „RAD-Maiden“ wurden „KHD-Maiden“ (KHDM).

Die KHDM sollten, soweit möglich, ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechend eingesetzt werden. Zukünftige Ärztinnen wurden beispielsweise in Krankenhäusern eingesetzt, Abiturientinnen mit Interessen in Physik und Mathematik wurden Forschungsinstituten zugeordnet. 150-160 körperlich sehr starke junge Frauen wurden bei den Stuttgarter Straßenbahnen als Schaffnerinnen eingesetzt, hauswirtschaftlich interessierte KHDM in Kantinen und Großküchen usw. Bei der Reichspost, dem Bahnpaketdienst und dem Hauptverpflegungsamt wurden KHDM genauso eingesetzt wie bei der Girokasse, dem Wohlfahrtsamt und dem Wirtschaftsamt.

64 jungen Frauen wurden der Wehrmacht zugewiesen. Sie wurden im Saal der Gaststätte der Brauerei Leicht untergebracht, wo 60 Holzbetten und Spinde mit Waschschüsseln aufgestellt worden waren.

Die jungen Frauen, die dem Krankenhaus Cannstatt zugewiesen worden waren, wohnten im Vergleich dazu komfortabel, Wie die Jungschwestern waren sie zu 3-5 Personen in Zimmern mit Einzelbetten untergebracht.

In den ersten 6 Monaten nach Einführung des KHD waren in Stuttgart 500 junge Frauen im KHD, im folgenden Halbjahr waren es schon 650 mit steigender Tendenz.

Die KHD-leistenden der Straßenbahn wurden allesamt im Straßenbahnerwaldheim in Degerloch untergebracht, wo die Halle mit ca. 2 m hohen hölzernen Zwischenwänden in 4er-Kojen unterteilt wurde.

Das ehemalige Straßenbahner-Waldheim in Stuttgart Degerloch ist heute Teil des Veranstaltungszentrums Waldau-Park. In dieser Halle waren die 150-160 RAD-Frauen untergebracht, die als Schaffnerinnen eingesetzt waren.

KHD-Frauen mit technischen Neigungen waren auch in der Forschung eingesetzt. Beim Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen in Untertürkheim arbeiteten sie zum Teil als technische Zeichnerinnen und technische Rechnerinnen und im Labor. Auch in Ruit waren KHDM beschäftigt. Das dortige Forschungsinstitut arbeitete unter dem Decknamen „Graf Zeppelin“ an der Entwicklung von materialsparenden Luftschutzbauten, aber auch an Lenkbomben und verbesserten Torpedos für die Luftwaffe und die Marine.

Als Produktionshelferinnen waren die KHDM vor allem in feinmechanischen Betrieben eingesetzt, so bei Kodak in Stuttgart-Wangen, bei Kienzle in Schwenningen, Kienzle und Saba in Villingen (400 KHDM), Junghans in Schramberg (200 KHDM), in St. Georgen bei Dual, M. Bäuerle und bei Staiger (zusammen 180 KHDM), in Eislingen und Trossingen bei Fritz Kein, in Geislingen bei WMF, in Oberkochen bei der Maschinenfabrik Bäuerle (120 KHDM) und etlichen anderen. 50 KHDM waren im Waldlager Schwäbisch Hall bei der Endmontage der Me 262 beschäftigt.

Mit der Zunahme der Luftangriffe und dem damit einhergehenden Anstieg der Schäden und der Opfer unter der Bevölkerung wurde der RAD w.J. auch immer mehr zur Betreuung Ausgebombter eingesetzt, aber auch bei Rettungseinsätzen, als Hilfssanitäterinnen und beim Bergen von Leichen.

Im Rahmen der Luftwaffe kamen Angehörige des RAD w.J. auch zu Luftnachrichteneinheiten und zur Flak, wo sie Scheinwerfer bedienten. In Stuttgart waren keine RAD-Frauen an Scheinwerfern im Einsatz, wohl aber stellte der Bezirk XII RAD-Frauen für solche Einsätze in Münster und in Augsburg.

Im Bereich des Luftgaukommandos VII waren RAD-Frauen in neun Luftnachrichtenstellungen eingesetzt. Namentlich bekannt sind diese sieben:

StellungOrt
LaubfroschAltbierlingen bei Ehingen
MeerkatzeBad Mergentheim
AesopBei Donnstetten
OtterBirkenzell
HornisseHochmössingen
WidderBei Treffelhausen
MöweRenningen

Die Schulung und Einarbeitung erfolgte in der Luftnachrichtenkaserne in Plieningen. Auch auf dem Flugplatz Echterdingen, in den Munas Heid-Kapelle (20 KHDM) und Urlau (120 KHDM), im Heereszeugamt Ludwigsburg, der Heeresverpflegungsamt Aalen und beim Fliegerhorst Memmingen taten KHDM Dienst.

In Renningen kamen bei einem Luftangriff 1945 zwei der KHDM ums Leben, auch in Bad Mergentheim überlebte eine KHDM den Einsatz nicht.