„Festung“ Stuttgart 1945

Im Dezember 1944 erhielt der Wehrmachtskommandant von Stuttgart, Oberst Freiherr von Scholley, den Auftrag, an den Haupteinfallstraßen der Stadt Stützpunkte zu erkunden.

Für die Stadt sollten zwei Verteidigungsringe geschaffen werden. Der äußere Ring entsprach ungefähr der Stadtgrenze. Fast alle Schweren Flakstellungen lagen innerhalb dieses Rings oder unmittelbar außerhalb davon. Im Norden sollte er von Stammheim über Zazenhausen, Mühlhausen, Hofen, Schmidener Feld, Luginsland, Rotenberg zum Ortsrand von Obertürkheim/Mettingen führen. Auf dem südlichen Neckarufer war die Linie von Brühl über Riedenberg, Sillenbuch, die südliche Grenze Möhringens und Rohr bis zur Grenze zwischen Böblingen und Vaihingen vorgesehen. Im dortigen Wald sollte sie im Bogen bis zur Solitude und Schillerhöhe führen und dann über den Fasanengarten über Korntal und Kallenberg nach Stammheim. Die Verteidigungsstellung Gerlingen war in den Ring nicht integriert, schloss aber bei Weilimdorf direkt an.

Der Innere Ring war auf den Höhenzügen um die Innenstadt geplant, von Münster über die Neckarvorstadt am Neckar entlang bis Wangen, dann zur Wangener Höhe und Waldebene Ost bis Degerloch, von dort über Sonnenberg bis Möhringen und Kaltental zum Dachswald, Wildpark, Birkenkopf, Westbahnhof, Kräherwald, Killesberg zum Burgholzhof und von dort bis zum Tapachtal nach Münster.

Der Volkssturm zwischen Theorie und Wirklichkeit

Der Befehl zum Ausbau der erkundeten Stellungen erging Anfang Februar 1945. Neben den Ersatztruppenteilen des Standorts Stuttgart sollte vor allem der Volkssturm herangezogen werden, bestehend aus den Jahrgängen 1884 – 1928. Rechnerisch umfasste der männliche Anteil dieser Jahrgänge in Stuttgart zu diesem Zeitpunkt 35.000 Mann. Da das Wehrmachtskommando Stuttgart noch die Kreise Leonberg, Böblingen, Esslingen und Waiblingen umfasste, führte es rund 100.000 Mann in seinen Listen.

Vorgesehen war die Bildung von 55 Bataillonen zu je 600 Mann. Im Januar 1945 waren aber erst 4 Bataillone einsatzbereit. Bis zur Ankunft der Alliierten waren weitere vier in Aufstellung. Der Rest existierte nur theoretisch. Die Ersatztruppen der Wehrmacht konnten gerade einmal vier schwache Bataillone stellen, die in zwei Regimenter gegliedert wurden und den Norden der Stadtverteidigung übernehmen sollten. Der Volkssturm sollte die südliche Linie verteidigen.

Da die Volkssturmverbände nur bruchstückhaft aufgestellt werden konnten, blieben auch die Schanz- und Bauarbeiten weit hinter den Planungen zurück. Der damalige NS-Oberbürgermeister Karl Strölin schreibt in seinem Buch „Stuttgart im Endstadium des Krieges“: „Bis Anfang April 1945 waren in Stuttgart im Allgemeinen nur Schützenlöcher und einige MG- und Pakstände ausgebaut worden. Diese waren untereinander nicht verbunden – von einer Verbindung der Stützpunkte untereinander ganz zu schweigen. Bis auf wenige ‚Tschechenigel‘, Balken- und ähnliche Straßensperren waren Stellungshindernisse nicht vorhanden.
Wenn der äußere Ring um Stuttgart hätte verteidigt werden sollen, so wären hierfür mindestens 2 aktive Divisionen erforderlich gewesen. Diese waren nach der militärischen Gesamtsituation zweifellos nicht verfügbar.“

Schon für die spärlichen vorhandenen Verbände war die verfügbare Bewaffnung völlig unzureichend. Manche der Flakbatterien waren bereits aufgelöst worden. Die noch vorhandenen Geschütze waren auf Erdkampf umgerüstet worden. Zwar lagen zusätzlich auf Gerlinger Markung im Hahnenbühl 15 cm-Kanonen, doch diese wurden vor dem Heranrücken der Franzosen am 21. April wieder abgezogen.

Im März waren sogenannte Panzerriegelstellungen im nahen Umland von Stuttgart errichtet worden, so etwa die Panzerriegelstellung “Peter“ ca. 500 m nordwestlich von Perouse an der A8. Dorthin wurden am 30. März zwei der Geschütze der Schweren Flakbatterie 5/s. 436 aus Heumaden gebracht. Am 01. April sprengten deutsche Pioniere die 300 m vor der Stellung „Peter“ gelegene Autobahnbrücke. Darauf wurden die Kanonen aus der Stellung wieder abgezogen und nach Korb verlegt, wo es am 21. April noch zum Feuergefecht mit amerikanischer Artillerie kam. Am 09. April wurde nordöstlich von Münchingen, an der Reichsstraße 10 (heute B 10) bei Kallenberg (Kalter Berg), die Riegelstellung „Karl“ aufgebaut. Auch hier waren Geschütze der 5/s. 436 eingebunden, aber auch diese Stellung wurde vor den Eintreffen der der Franzosen aufgegeben.

Kämpfe um Stuttgart

Vor diesem Hintergrund war klar, dass es eine „Schlacht um Stuttgart“ im eigentlichen Sinne nicht mehr geben würde. Diese war schon seit Ende März in der Region geschlagen worden, in Heilbronn, Nussdorf, Lauffen am Neckar, bei Vaihingen/Enz, Bietigheim und anderen Orten in der Region, wo die Alliierten immer wieder auf zähen und teils fanatischen Widerstand gestoßen waren. Aber als sie die Stadtgrenzen Stuttgarts erreichten, war die Wehrmacht nicht mehr zu einer größeren Verteidigungsmaßnahme fähig.

Am 20. April nähern sich französische Verbände von der A8 aus Richtung Böblingen kommend Stuttgart-Vaihingen. Die Schwere Flak auf dem Birkenkopf schießt auf Erdziele. Auch am morgen des 21. April nimmt sie noch Erdziele ins Visier. Dann erreicht französische Infanterie Möhringen, und die Stellung Birkenkopf wird aufgegeben. Über Degerloch und die Neue Weinsteige erreichen an diesem Tag die ersten französischen Panzer die Stuttgarter Innenstadt.

Die Gerlinger Stellung kommt nicht mehr zum Einsatz. Aber die Weilimdorfer und Kornwestheimer Flak schießt am Morgen des 21. April auf die aus dem Enzkreis über Hemmingen/Schwieberdingen vorrückenden Franzosen, die zuvor bei Nussdorf und Bietigheim tagelang aufgehalten worden waren.
Ebenfalls am 21. April wurden die aus dem Remstal vorrückenden Amerikaner bei Hochdorf und aus der Batterie Luginsland noch von den Resten der dortigen Schweren Flak unter Feuer genommen.

Diese eher vereinzelten Aktionen aus den beiden Stuttgarter Verteidigungsringen heraus ermöglichten es den meisten Truppenteilen der Wehrmacht, sich aus dem eingekreisten Stuttgart über das Neckartal in Richtung Albaufstieg abzusetzen. Bis auf wenige Schießereien wie etwa in Cannstatt blieb der Stadt Stuttgart damit ein blutiger und langwieriger Häuserkampf erspart und die Stadt wurde fast kampflos übergeben.

Die abgerückten Wehrmachtsverbände lösten sich nur wenige Tage später völlig auf, als die letzte Front am Albaufstieg zusammenbrach und die meisten Soldaten nur wenige Kilometer von Stuttgart entfernt sich doch noch in Gefangenschaft begaben.