Haigerloch Atomkeller

1945 wurde der Felsenkeller in Haigerloch zum Schauplatz eines historischen Experiments. Die deutschen Atomforscher hatten am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin an der Erzeugung der Kettenreaktion gearbeitet. Anfang 1939 hatte Otto Hahn die Spaltung des Uran-Atomkerns entdeckt. Hahns Ergebnisse ließen erkennen, dass es möglich ist Neutronen-Kettenreaktionen solcher Spaltungen zu erzeugen, die ungeheure Energien freisetzen würden. Siegfried Flügge veröffentlichte im Sommer 1939 einen Aufsatz zur Diskussion dieser Sachverhalte. Der internationale Austausch brach freilich nach Kriegsausbruch weitgehend zusammen. Von nun an herrschte international Konkurrenz statt Austausch in der Atomforschung. Den Wissenschaftlern war klar: Die Entdeckungen öffneten nicht nur die Tür zu einer Energiequelle bis dahin unbekannten Ausmaßes, sondern auch zu einer Bombe von unvorstellbarer Zerstörungskraft. Seit 1940 experimentierten die deutschen Wissenschaftler in Leipzig, Gottow und Berlin an der Erzeugung einer solchen Kettenreaktion. 

Der Felsenkeller in Haigerloch 

Im Zuge der Bauarbeiten für die Hohenzollernsche Eisenbahn entstand der ca. 20 m lange und 5 m breite Stollen im Muschelkalk-Fels unter der Schlosskirche. Es gibt Aussagen, dass die Räumlichkeiten als Tunnel errichtet wurden. Allerdings wäre das Projekt dann verworfen worden. Anderen Aussagen zufolge soll der Vortrieb von vornherein als Bierkeller für den Schwanenwirt errichtet worden sein. Unzweifelhaft fiel die Baumassnahme aber mit dem Eisenbahnprojekt zusammen und ist so auf die Jahrhundertwende 1900 datierbar. Der Keller hat einen trapezförmigen Querschnitt und ist ca. 4 m hoch. Die Überdeckung beträgt 20 -30 m.  

Angriffe auf die Einrichtungen in Berlin 

Am 11. Februar 1944 schlug eine Bombe im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin ein. Ein Flügel des Gebäudes wurde zerstört, auch das Büro des Institutsleiters Otto Hahn. Die im Institut arbeitenden Atomwissenschaftler verloren nicht nur einige ihrer Räumlichkeiten, sondern auch zahlreiche Unterlagen. Sie richteten sich provisorisch in einem andern Flügel des Gebäudes ein. Am 24. März 1944 wurde der Komplex erneut getroffen. Es war nun klar, dass man nicht in Berlin bleiben konnte.

Die Wahl zur Verlagerung der Forschung fiel auf Süddeutschland. Vermutlich suchte Reichsforschungsrat Walther Gerlach die Örtlichkeiten aus, da er in Tübingen studiert hatte. Das Institut verlegte Material, Geräte und Wissenschaftler nach Hechingen, Tailfingen und mietete im Juli 1944 den Braukeller in Haigerloch an. In der Bierstube gegenüber dem Keller wurde ein Dieselgenerator installiert, der die Stromversorgung sicherstellte. Bis Ende 1944 war der Felsenkeller soweit hergerichtet, dass mit dem Aufbau des Reaktors begonnen werden konnte. Ende Januar 1945 erfolgte der Umzug aus Berlin. Es brach zunächst ein Streit aus, ob man nicht im Thüringischen Stadtilm weitermachen sollte, wohin schon im Sommer 1944 Teile des Kaiser-Wilhelm-Instituts ausgelagert worden waren. Bis zur Entscheidung für Haigerloch verging ein weiterer Monat. Über 10 Tonnen Uranoxid verblieben freilich bei der Gruppe in Stadtilm. 

Der Versuch B8

Der Versuch B8 war eigentlich der 8. Versuch in Berlin. Er war im Sommer 1944 in Berlin weitgehend vorbereitet worden, konnte durch die Bombenangriffe jedoch nicht mehr ausgeführt werden. Die Anmietung des Felsenkellers in Haigerloch war also primär die Verlagerung des Versuchs B8. In dem relativ kleinen Museum ist anhand von einigen Exponaten zwar die Geschichte der deutschen Uranforschungsarbeiten angerissen. Doch ohne das Begleitbuch bleibt vieles unverständlich. Denn das Museum zeigt natürlich in erster Linie nur die Rekonstruktion des Versuchs B8, der Anfang März 1945 dort durchgeführt wurde. In dessen Zentrum stand ein in den Boden eingebauter Betonzylinder in den ein 216 cm hoher Aluminiumkessel mit 210,8 cm Durchmesser eingesetzt war. In diesem Kessel befand sich ein zweiter Aluminiumkessel mit 124 cm Durchmesser. Der Zwischenraum war mit 10 Tonnen Graphit gefüllt worden. Der äußere Kessel war mit Wasser umgeben.

In diese Anordnung wurden die an Drähten zu einer Gitterkonstruktion zusammengefügten 664 Natururanwürfel mit einem Gesamtgewicht von 1,58 Tonnen eingelassen. Nachdem der Kessel dicht verschlossen war, wurde die Radium-Beryllium-Neutronenquelle eingebracht und das schwere Wasser.

Die Neutronendichte stieg um das 6,7-fache an. Es war der Beweis, dass die Kettenreaktion möglich war. Die deutschen Wissenschaftler standen kurz davor, einen funktionierenden Reaktor zu haben. Ihre Anordnung war jedoch zu klein. Um eine selbsterhaltende Kettenreaktion auszulösen, hätten sie die 1,5-fache Menge Material einsetzen müssen. Allerdings hätten sie sich in diesem Falle auch einer erheblichen Strahlenbelastung ausgesetzt, denn die Versuchsanordnung war kaum geeignet, die Kettenreaktion zu kontrollieren bzw. sie sicher zu beenden. Einen Schutz vor Verstrahlung gab es in der Höhle überhaupt nicht. 

Das Ende der deutschen Forschung

Werner Heisenberg wollte zwar noch einen Versuch mit einer größeren Materialmenge durchführen, doch dazu kam es nicht mehr. Am 22. April 1945 besetzten amerikanische Truppen Stadtilm und stellten die dortigen Versuchsanlagen und –materialien sicher. Am 23. April rückten die Amerikaner in Haigerloch ein. Tags darauf öffneten sie den Forschungskeller, demontierten den Reaktor und sprengten den Kessel. Die deutschen Wissenschaftler wurden nach England verbracht und verhört. So erhielten die Alliierten ein genaues Bild von Stand der deutschen Forschung.

Das Atom-Museum zeigt heute einen Nachbau des von den Amerikanern abgebauten Reaktors, sowie den gesprengten Originalkessel als zentrale Exponate. Ein kurzer Abriss der deutschen Atomforschung, Ihrer Protagonisten und eine Überleitung zur Nutzung der Kernenergie nach dem Krieg runden die Ausstellung ab.

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